Nicht-lineare Effekte bei der Lautsprecherwiedergabe

Hornguru
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Beitrag von Hornguru »

RPWG hat geschrieben: Also ich kann selbst 10 cm vor diversen Fabrikaten gereglter LS keinen störenden Rauschpegel feststellen.
Das hat man denke ich heute geregelt wie ungeregelt ganz gut im Griff. Was meinst du mit "Nebeneffekten"?
Morgen Roman! Ein Trierer huch :cheers: das sollte mal gefeiert werden.

Das Rauschen bezog sich so nicht auf hörbares Rauschen im LS. Das Regelsignal das man am Sensor abgreift ist nicht störungsfrei genug bei kleiner Lautstärke um es 100% effektiv zu nutzen. Was sich bei hoher Lautstärke verbessert und dann stärker gegenkoppeln lässt.
Eine kapazitive Regelung im Mittelton ist mir am Markt gar nicht bekannt. Was spricht hier gegen die induktive Lösung? Was bedeutet in dem Kontext "kleinamplitudenempfindlicher"? Die Stromregelung ist natürlich über die Verstärker-GK realisierbar, das wurde hier ja schon an anderer Stelle ausgiebig diskutiert (Thread "Verstärker mit Stromgegenkopplung").
B&M hat in der Mitteltonkalotte aus Metall eine Spannung auf der Membran selbst anliegen und greift so über ein Anodengitter nahe dieser ein Kapazitives Signal ab. So hab ich das mal verstanden. Das funktioniert wohl im Bereich Kleinstamplitude wesentlich rauschfreier.

Strom oder Spannungsgegenkopplung sehe ich persönlich eher weniger als Regelung an. Aber ok, wenns dazu einen Treat gab will ich das Fass nicht aufmachen. Ich fand jedenfalls Nelson Pass' Ausnahmeanwendung dessen (nur bei extrem starkem Antrieb) sehr interessant und auch ganz nett. Spart man sich den Equalizer. :)
Ein Chassis darüber einzusetzen halte ich sowieso für nicht so zielführend. Jedenfalls nach meinen persönlichen Erfahrungen. Aber man kann auch einen 20 cm Tieftöner bis 1 kHz gegenkoppeln, was ich für angemessen halte. Darüber läuft der FG wenn man so möchte, wie gewohnt weiter. Das muss in der (linearen) Vorverzerrung vor der Regelschleife einfach entsprechend berücksichtigt werden.
Bei Keramikmembran sieht man das ja noch bis 1500Hz ganz gut aus. Aber Pappe verbiegt sich bei 20cm ja schon ab 700Hz. Das ist schon früh. Kevlar ist zwar Zugfest aber nicht Biegefest. Ob das da so viel einheitlicher schwingt ... jedenfalls klingt es für mich logisch die Membran nur dann zu regeln wenn diese auch de Spule folgt. So gesteht das BM auch ein.
Ich kann das so nicht bestätigen. Jedenfalls nicht bei den gegengekoppelten Chassis, die ich gemessen habe. Die Level K4, K5 und K6+ (letztere bei STEPS beispielsweise immer zusammengefasst) kann ich nicht als erhöht feststellen. Wenn man "irgendwas, irgendwie" als Sensor aufs Chassis klebt kann das anders sein. Ich vermesse bei einem neuen Chassistyp jede einzelne Modifikation, jede Klebung, mit dem Serienchassis als Referenz. Böse Überraschungen habe ich da genug erlebt. Frei nach dem Spruch "man kann ein System nicht beobachten, ohne es zu verändern" ...
Gut mein Stand ist leicht veraltet. Vielleicht gelingt dies mitlerweile besser. Jedenfalls mit dem Versuchsaufbau eines Philips ähnlichen MFB gings nicht so gut. Als Sensor wurde ein dynamisches Mikro verwendet. Mit Laserabtastung gab es keinen Klirr, dafür aber viel mehr Rauschen.
Da sehe ich eher das Problem bei der Vorausentzerrung, denn da stimmt durch "altersbedingte Dekalibrierung" vorne und hinten nichts mehr. :)
Ok das stimmt auch wieder. Obwohl nicht perfekt mit Sensor trotzdem besser.
Letzten Endes zählt ja sowieso nur "was hinten raus kommt". Egal ob vorausentzerrt oder geregelt
Ja :) und geregelt ist sicher besser als nicht geregelt. Ich wollte lediglich auf die paar Hürden in der Umsetzung der Sensorregelung hinweisen. Hier gäbe es durchaus ein paar Dinge die die Vorrausregelung besser könnte. Die es bisher nicht gab. Also war der Sensor schon schick. Vielleicht kann man irgendwann das Beste beider Welten kombinieren.

Insofern sollte das keine Dogmatisierung sein! Nicht falsch verstehen @ Harald
Lediglich eine kritische Beleuchtung. Das muss ja auch mal sein. Jede Medaille hat 2 Seiten.

@KTSR: wir zwei werden auch nicht mehr warm miteinander was? :mrgreen: Wenn ich die genauen Fakten zur Umsetzung in der Hand hätte würde ich sie sicher teilen. Grobe Umschreibung ersetzt keinen Schaltplan. Die guten alten Zeiten vor 15 Jahren als ich noch 24 Stunden mit dem Kollegen am Tisch saß sind leider vorbei. Jetzt sieht man sich einmal im Jahr. Wenn ich die nächsten Monate mehr dazu erfahre teile ich es hier sofort mit. Der werte Herr war nie sonderlich patentgeil. Insofern nur ein Zeitproblem.
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wgh52
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Beitrag von wgh52 »

Hallo Josh,

ich wiederhol's nochmal. Es gibt keine Technologie mit Namen "Vorausregelung", dieser Begriff macht einfach keinen technischen Sinn und man kann ihn auch nicht erfinden, weil es hier keinen geschlossenen Regelkreis gibt, sondern nur die Vorwärtsrichtung! Vorauskorrektur oder wie Uli korrigierte Voraussteuerung wären richtige Ausdrücke, weil sie das beschreiben was passiert: Man nimmt gemessene Parameter (nennen wir's eine nichtlineare Kennlinie) und dimensioniert daraus eine Ansteuerung, die dazu führt, dass das zu berichtigende nichtlineare Verhalten ausgeglichen wird (und das gültig für einen längeren oder kürzeren Nutzungszeitraum, in dem sich das nichtlineare Verhalten nicht oder nur wenig verändert hat).

Ich weis, Wortklauberei kann nerven, aber um falsche Bezeichnungen zu tolerierenda sind wir hier zu fundiert und zu technisch unterwegs. Ich hoffe darum auf Verständnis.

Grüße,
Winfried

4002
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cay-uwe
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Beitrag von cay-uwe »

Wenn man es genau nimmt, gibt es nur Regelung und Steuerung.

Bei einer Regelung wird ein IST-Wert aufgenommen und mit einem SOLL-Wert verglichen und sofort Korrekturen aufgrund einer Regelschleife vorgenommen. Aus dem HiFi-Bereich sind da am ehesten die Rückkopplung bei Verstärken bekannt, bei dem das Ausgangssignal (IST-Wert) mit dem Eingangssignal (SOLL -Wert) verglichen werden und Fehler korrigiert werden.

Bei einer Steuerung werden aufgrund von vorab bekannten IST-Werten Korrekturen aufgrund einer Stellfunktion vorgenommen. Hier fällt mir z.B. die üblichen Heizungssysteme ein. In den meisten Fällen wird die Außentemperatur aufgenommen und durch ein vorab eingestellte Kennlinie wird eine Innentemperatur eingestellt.

Vielen ist bestimmt die Situation bekannt, wenn zur Außentemperatur noch starker Wind hinzukommt, dann "jammern" die meisten Frauen es sei zu kalt, obwohl nach Kennlinie die Temperatur eingestellt wurde. Grund dafür ist, dass die Störgröße WIND nicht in der Steuerungskennlinie mit inbegriffen ist. Würde das Ganze über eine Regelung eingestellt werden, dann würde man z.B. die gewünschte Innentemperatur (SOLL-Wert) einstellen, über einen Sensor aufnehmen (IST-Wert) und egal wie das Wetter ist, würde die Regelung dafür sorgen, dass die Innentemperatur den gewählten SOLL-Wert erreicht.

Um beim Thema zu bleiben, der vorgestellte Phasenmodulator ist eine Steuerung. Man weiß was das Chassis bezüglich Dopplereffekte macht und man erstellt eine Kennlinie die das korrigiert.
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dietert
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Beitrag von dietert »

Hallo miteinander,

auch die Heizungssteuerung basiert auf einem Sensorsignal, nämlich der gemessenen Außentemperatur. Sensor bedeutet also nicht automatisch Regelung. Ich meine, das ist alles keine Wissenschaft, wo man "die" richtige Lösung sucht, sondern Ingenieurskunst. Die Beteuerungen, man müsse bestimmte Dinge so und so machen, finde ich unsachlich.

Wie schwer die nichtlinearen Eigenschaften von Lautsprechern zu greifen sind, dafür sind die Dokumente bei Herrn Klippel ein trauriger Beleg, auf die Uli verwiesen hat. Meiner Meinung nach völlig ungenießbar und auch von Ansatz her (mathematischer Formalismus) wenig erfolgversprechend. Wenn dann am Ende die Gegen-EMK der Weisheit letzter Schluss sein soll, du liebe Güte. Aber vielleicht täusche ich mich ja auch. Ich glaube jedenfalls nicht, dass hier im Forum eine nützliche Diskussion zu Herrn Klippels Formalismus zustande kommt.

Zum Beispiel habe ich bei Herrn Klippel nirgendwo meine Beobachtung wiedergefunden, dass die Ruheposition elektrodynamischer Lautsprecher ziemlich instabil ist, d.h. die Anfangsposition des Antriebs müsste man eigentlich erstmal mit einer Lichtschranke oder so erfassen, bevor man "klippelt".

Grüße,
Dieter T.
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FoLLgoTT
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Beitrag von FoLLgoTT »

Hallo Dieter,
dietert hat geschrieben:Zum Beispiel habe ich bei Herrn Klippel nirgendwo meine Beobachtung wiedergefunden, dass die Ruheposition elektrodynamischer Lautsprecher ziemlich instabil ist, d.h. die Anfangsposition des Antriebs müsste man eigentlich erstmal mit einer Lichtschranke oder so erfassen, bevor man "klippelt".
Meinst du die Arbeitspunktverschiebung ("DC Displacement") der Membranbewegung bei komplexen Signalen (und maximal bei 2*fs)? Der ist bei Klippel ein großes Thema.

Gruß
Nils
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Tinitus
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Beitrag von Tinitus »

Hallo,

ich kann inhaltlich nichts Großartiges beitragen, ich schließe mich Winfrieds Bitte nach größtmöglicher begrifflicher Exakthheit an, selbst ich als Reagenzglasschwenker kenne den Unterschied zwischen Steuerung und Regelung.

Ansonsten freut mich die Diskussion, die sachlich hart am Wind segelt.Hatten wir längere Zeit nicht mehr, erinnert mich an die Zeiten als Oliver Mertineit nach Forenmitglied war, da gab es das öfters, sein Diskussionsstil war zwar leicht abrasiv, aber mir hat das Lesen seiner Beiträge viel gebracht.

Ach ja, Nils schöner link zu Neumann bezüglich der Auswirkungen der Anzahl der Wege bzw. der Verwendung eines Sub, sehr informativ.

Gruß

Uwe
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dietert
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Beitrag von dietert »

Hallo Nils,

ist ja klar. Für die Korrektur des Dopplereffekts braucht man auch die Position, der Sensor liefert aber die Geschwindigkeit. Das kriegt man mit einem Integrator hin, die Anfangsposition ist für den Dopplereffekt belanglos, für das Magnetfeld im Motor aber nicht.

Ich meinte, dass ein Tieftöner, der zwei Monate auf dem Magnet gelegen hat, einen anderen Anfangspunkt hat als ein baugleicher, der zwei Monate auf der Front gelegen hat. Oder was machen in der Heckablage im Auto horizontal eingebaute Lautsprecher, die extremen Temperaturen bzw. direktem Sonnenlicht ausgesetzt sind? Oder was macht zum Beispiel der Tieftöner in einer geschlossenen Box bei Luftdruckschwankungen?

Wenn man über adaptive Systeme redet, muss irgendwo schon etwas konkreter stehen, was geht und was nicht. Ein Ottomotor z.B. arbeitet ja heutzutage auch mit mindestens fünf oder noch mehr Sensoren. Eine vernünftige Steuerung braucht eben die Umgebungstemperatur, die Drehzahl, den Ansaugdruck, Lambda usw. Wie will man die Gegen-EMK eines Lautsprechers korrekt messen, wenn man die Temperatur und damit den ohmschen Widerstand der Antriebsspule nicht genau weiß?

Grüße,
Dieter T.
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FoLLgoTT
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Beitrag von FoLLgoTT »

Hallo Dieter,
dietert hat geschrieben:Ich meinte, dass ein Tieftöner, der zwei Monate auf dem Magnet gelegen hat, einen anderen Anfangspunkt hat als ein baugleicher, der zwei Monate auf der Front gelegen hat.
Achso, du meinst eine statische Dezentrierung. Ich kann mir bei den heutigen hart eingespannten Treibern ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass das noch ein großes Thema ist. Es gibt ja kaum noch diese weich aufgehängten Tieftöner wie in den 80ern.

Belastbare Daten fehlen mir hierzu allerdings.
Wie will man die Gegen-EMK eines Lautsprechers korrekt messen, wenn man die Temperatur und damit den ohmschen Widerstand der Antriebsspule nicht genau weiß?
Wenn Klemmenspannung und der Strom bekannt sind, kann die Impedanz der Spule (bei bekanntem Innenwiderstand der Endstufe) bestimmt und somit ein adaptiver Korrekturfaktor für die Powerkompression gesetzt werden. Die Impedanz im kalten Zustand und die restlichen Treiberparameter müssen natürlich bekannt sein. Das Modell muss eben möglichst gut sein.

Ich stecke da aber gedanklich im Moment nicht so tief drin. Womöglich übersehe ich auch etwas. :wink:

Gruß
Nils
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dietert
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Beitrag von dietert »

Hallo Nils,

vor einigen Jahren habe ich mal solche Regler gebaut, die auf Gegen-EMK beruhten. Ich habe verstanden, dass Herrn Klippels adaptive Steuerung ganz anders gedacht ist.

Trotzdem möchte ich kurz mal schreiben, was da interessantes passiert. Wenn man an die Grenze geht und die negative Ausgangsimpedanz des Verstärkers auf den ohmschen Widerstand der Antriebsspule abgleicht, dann kommt man an einen Punkt, wo das System mit einer Frequenz von z.B. 3 Hz langsam anfängt zu schwingen (positive Rückkopplung, "Oszillator"). Durch die Schwingung erwärmt sich die Antriebsspule, nach einigen Sekunden bricht die Schwingung ab, weil der ohmsche Widerstand sich mit der Temperatur erhöht hat. Sobald die Antriebsspule sich etwas abgekühlt hat, fängt das System wieder an, ein paarmal zu schwingen usw.

Also, wenn ich das Chassis zwecks Messung des ohmschen Widerstands mit Antriebsstrom beaufschlage, passieren gleich noch andere Sachen. Schwer zu glauben, dass man mit einem einzigen Sensor (Strommessung) so ein mehrparametriges nichtlineares Modell stabilisieren und adaptieren kann.

Grüße,
Dieter T.
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KSTR
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Beitrag von KSTR »

dietert hat geschrieben:Wie will man die Gegen-EMK eines Lautsprechers korrekt messen, wenn man die Temperatur und damit den ohmschen Widerstand der Antriebsspule nicht genau weiß?
Z.B. mit der 'Autobalancing Bridge' von David Birt, auf die mich kürzlich ein britischer Kollege hingewiesen hat. Ein variabler Zweig in der üblichen Bridge zur Extrahierung der Mikrofonspannung (ich mag den Begriff Gegen-EMK überhaupt nicht) wird von einer Art DC-Servo so gesteuert, dass das Ausgangssignal das pure Geschwindigkeitssignal ist, egal wie heiß die Spule ist. Etwas Gleichspannung an der Bridge und damit am Chassis ist nötig, so um 10mV.

Damit kann man eine Geschwindigkeitsregelung aufbauen. Noch viel besser gehen der DC-Servo wie der Extraktor wenn man ein Chassis mit Doppelschwingspule nimmt. Das Problem für den Abgleich der Bridge ist natürlich immer noch die "krumme" Induktivität die zudem variabel ist, was die Genauigkeit für höhere Frequenzen und Hübe beschränkt, mal abgesehen dass der Sensor sowieso zuwenig Spannung liefert wenn der Kraftfaktor anfängt nachzulassen am Ende des linearen Auslenkungsbereichs, was die Regelung zum Überschiessen bringt. Genau hier könnte wieder eine nichtlineare Vorentzerrung ansetzen, die das begradigt mit der inversen Kennlinie ... bis irgendwann ein Hublimiter (bzw -clipper) einsetzen muss ...

Die Klippelkiste macht das vermutlich deutlich elaborierter als so ein einfaches analoges System, und der wesentliche Teil liegt im "Einlernen" der dynamisch-adaptiven Modelle des Chassis.
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RPWG
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Beitrag von RPWG »

Hallo zusammen,

Ich möchte noch einmal das Thema Dopplerverzerrungen bzw. "PMD", wie man es an anderer Stelle öfters ließt, vertiefen. Da der Ursprung bereits durch den Vortrag von Herrn Dr. Lutz, bzw. Haralds Nachlese erklärt wurde, soll es noch einmal kurz darum gehen, wie (mutmaßlich) entgegen gewirkt werden kann.

Prinzipiell sollte es möglich sein, die Membran "virtuell" stillstehen zu lassen, indem man die Phasenmodulation durch die rhythmische Annäherung bzw Entfernung der Membran vom Zuhörer, invers über eine Vorsteuerung dem Musiksignal aufschaltet. Mutmaßlich (s.o.) deshalb, weil andere Effekte, wie die Richtungsabhängigkeit der Phasenverzerrungen, das eventuell erschweren. Ich möchte das aber gerne an dem Punkt messtechnisch untersuchen, weshalb ein geeigneter Phasenmodulator gesucht ist, den man mit dem Auslenkungssignal der Membran ansteuert.

Nimmt man an, dass die Membran eines typischen Winz-Woofers eine maximale Auslenkung Xmax von +/-10 mm ausführt, wird also im Extremfall eine elektronisch durchstimmbare Laufzeit von ca. +/- 29 µs benötigt. Da es relativ knifflig ist, das Signal in die Zukunft zu verschieben, wird das Signal um 29 µs vorverzögert und man verringert bzw. vergrößert die Laufzeit um diesen Offset herum.

Das Thema kam vor ein paar Jahren schon mal hier hoch, ich glaube mich zu erinnern dass damals Ralph Berres und Charles (phase_accurate) Überlegungen zur Realisierung mit Allpässen beigesteuert hatten. Ich hatte es 2014 auch analog versucht zu realisieren und habe da noch ein Exponat aus der "Vitrine der bad circuits" :D

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Ich wollte es damals über einen Allpass 4. Ordnung und mehrere Transkonduktanzverstärker lösen. Der Fallstrick liegt darin, dass die analogen Allpässe immer einen Kompromiss aus Höhe der Verzögerung und nutzbarer Bandbreite darstellen. Für die Anwendung in kleinen 2-Weg-Boxen sollte das Delay bis min. 2 kHz hinreichend konstant gehalten werden. Je höher nun die Verzögerung bei so einem Allpass ist, desto niedriger die Frequenz, ab der das Delay nachlässt. Mit Allpässen höherer Ordnung funktioniert das in der Theorie ganz gut. Die Schaltung funktioniert auch, so wie abgebildet. Leider rauschen die Transkonduktanzverstärker zünftig, sodass der Nutzen allenfalls akademisch ist. Offenbar ist es Herrn Müller und Dr. Lutz gelungen, einen analogen Phasenmodulator zu bauen, der

a) ein ausreichend konstantes Delay über der geforderten Bandbreite
b) eine hinreichend lineare Steuerkennlinie (für die elektronische Einstellung des Delays)

aufweist. Oder aber, sie haben es ganz anders (z.B. über einen Frequenzmodulator, angesteuert über die 90° phasenverschobene Membranschnelle) gelöst. Hierzu möchte ich Herrn Müller und Herrn Dr. Lutz meinen Respekt als Techniker aussprechen! :cheers:

"Angefixt" durch die neuerliche Wiederbelebung des Themas hatte ich dann meinen Fokus auf eine digitale Implementierung gerichtet, schon allein, um die gebührende Distanz zu der Entwicklung der beiden Herren zu wahren. Digital wird also eine stufenlos durchstimmbare Delay-Line gesucht. Bei 96 kHz Abtastfrequenz reichen +/- 3 Abtastschritte aus, um die geforderte Verzögerung bereitzustellen (+/- 3/Fs ~ +/-31,25 µs). Die Lösung, die mir am meisten zusagt, besteht aus einigen FIR-Filtern, garniert mit etwas DSP-Arithmetik - sie kann in den simpelsten DSPs realisiert werden. Besonders elegant erscheint mir dabei, dass es nur einen einzigen Steuerkoeffizienten k gibt, der die Verzögerung stufenlos (!) überblendet. Für zwanzig äquidistante k's sehen die Delays in dem Modulatorprototypen so aus:

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Damit kann man, denke ich was anfangen. Bis 2 kHz ist die geforderte Konstanz der Verzögerung gewahrt (Linien verlaufen als parallele Geraden).

Als nächstes soll der Modulator auf den Prüfstand. Dazu hatte ich einfach numerisch den Term x(t) = A*sin(wt+phi(t)) mit dem Modulationsterm phi(t), hervorgerufen durch einen niederfrequenten Ton f1, untersucht. Die Spitzenamplitude der Phasenmodulation hatte ich mit xmax*f2*360/c angesetzt. Für den hochfrequenten Ton f2 mit exemplarisch 1 kHz landet man da unabhängig von f1 bei ca. 10,5°. Mit f1 = 50 Hz sieht das Betragsspektrum des phasenmodulierten 1 kHz Tones dann so aus:

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Was passiert da?
Man sieht den "Träger" bei 1 kHz mit seinen "Seitenbändern" (Summe und Differenz der zwei Töne, sowie Vielfache). Diese Summen und Differenzen klingen grauslig, da sie keinen harmonsichen Bezug zu den Ursprungstönen haben. Das erste Paar Seitenbänder hat über die Besselfunktion J1 erwartungsgemäß die Amplitude J1(Modulationindex oder Phi_max in Radiant) = ca. -20.8 dB, das zweite Paar Seitenbänder liegt bei -47.6 dB, usw. Soweit die Theorie.

In der Praxis bin ich wiederum rein digital geblieben und habe die Sinussignale digital erzeugt. f2 wird in die Delay-Line eingespeist und f1 steuert den Koeffizienten k. Es werden die vollen +/-31,25 µs moduliert. Das kommt dabei raus (gemessen mit ARTA - absolute Einheiten sind noch auf Mikrofon kalibriert gewesen):

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Bingo - Theorie und Praxis stimmen schon mal ziemlich gut überein. Leider gehen in der Ansicht des Betragsspektrums die Phasenbezüge verloren - das Bildchen ist also nur die halbe Wahrheit. Die Seitenbänder sollten bei der PM/FM theoretisch gegenphasig sein.
Damit gerüstet, soll aber demnächst ein Prototyp, rein für Messzwecke, aufgebaut werden.

Bei diesem muss nun die Auslenkung des Chassis aus der Ansteuerung geschätzt werden. Das funktioniert nur verwertbar, wenn man ein sauberes Testgehäuse hat. Dank der Regelung sollten die Parameter in der Auslenkungs-Übertragungsfunktion stabil bleiben.

Erste Versuche mit Einzelchassis sind wegen der untrennbaren Verwurstelung von IMDs, AM und FM/PM ohne Phaseninformation so ein bisschen was von Kaffeesatzlesen gewesen.

Anregungen für Messungen nehme ich gerne entgegen - ich denke gerade Winkelmessungen werden interessant werden.

Viele Grüße
Roman
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cay-uwe
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Beitrag von cay-uwe »

Roman,

vielen Dank für Deinen Beitrag, an dem mir gut die Messungen gefallen, da sie die Theorie gut untermalen. Erfahrungsgemäß kann ich sagen, dass Signale die bis ca. -30dB Pegel zu einem Grundton aufweisen durchaus hörbar sind. Soll heißen, die ersten Seitenbänder bei 1050Hz und 950Hz sind durchaus klanglich relevant.

Ich denke, dass die angesprochenen Winkelmessungen durchaus interessant wären.

Auch interessant wäre, und da würde ich auch gerne behilflich sein, was eine Bassreflex ausmacht, da bei dieser Art Konstruktion im Bereich der Tuningfrequenz und bis zu einer Oktave höher, die Membran eines Tief- Mitteltöners geringere Auslenkungen durchführt als bei einer geschlossenen Box. Theoretisch müsste eine BR bezüglich Dopplereffekte etwas Vorteile haben :wink:
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phase_accurate
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Beitrag von phase_accurate »

cay-uwe hat geschrieben:Erfahrungsgemäß kann ich sagen, dass Signale die bis ca. -30dB Pegel zu einem Grundton aufweisen durchaus hörbar sind. Soll heißen, die ersten Seitenbänder bei 1050Hz und 950Hz sind durchaus klanglich relevant.
Hallo Cay-Uwe

Ist das wirklich so ?

https://de.wikipedia.org/wiki/Maskierun ... welle2.JPG

Gruss

Charles
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cay-uwe
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Beitrag von cay-uwe »

Charles,

aus dem gleichen Link und darauf wollte ich hinaus :wink:
wikipedia hat geschrieben: Ist zum Beispiel ein 1-kHz-Ton mit einem Schallpegel von 80 dB anwesend, so kann ein 2-kHz-Ton von 40 dB nicht mehr wahrgenommen werden. Das heißt, der 2-kHz-Ton kann weggelassen werden, ohne dass ein Mensch diesen Unterschied hört. Tritt zusammen mit einem 1-kHz-Ton von 80 dB ein 2-kHz-Ton von 60 dB auf, kann man beide Töne wahrnehmen.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Maskierungseffekt
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phase_accurate
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Beitrag von phase_accurate »

Hallo Cay-Uwe

Wenn Du nun die Grafik betrachtest, wirst Du sehen, dass 950 Hz und 1050 Hz bei einem Pegelunterschied von 30 dB sehr deutlich unter der Mithörschwelle liegen.

Gruss

Charles
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