Relevanz von Lautsprechern in digital korrigierten Systemen

FoLLgoTT
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Beitrag von FoLLgoTT »

Hallo Alex,
Jahresprogramm hat geschrieben:Und gerade deshalb werden nach einer "normalen Raumkorrekturmessung" nie zwei unterschiedlich abstrahlende Lautsprecher im gleichen Raum mit der gleichen Target gleiche Tonalität haben.
Genau, weil eben die Reflexionen, die mit steileren Winkeln auf das Ohr treffen immer noch anders gewichtet werden. Diese Reflexionen klingen aber dank HRTF heller als der Direktschall. Ein Breitstrahler wird also trotz identischem Amplitudengang auf Achse im Raum immer heller klingen als ein Engstrahler.

Gruß
Nils
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Hans-Martin
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Beitrag von Hans-Martin »

Hallo,
meine erste Begegung mit Raumkorrektur war eine Demonstration eines Regallautsprechers links mit einem aus einem Auto genommenen Soundboard rechts, die natürlich gar nicht zusammenspielen konnten. Beide waren in einem relativ großen Gastraum einer Gaststätte improvisiert auf Stühlen platziert (fernab der Raumwände). Nach der Anwendung eines Raumkorrektursystems mit gemeinsamer Zielkurve für beide gelang es sowohl bei Gitarre und Gesang, aber auch bei Farbermans Percussion&Orchestra, eine räumliche Abbildung und ordentliche Fokussierung zustandezubringen.
Das zeigte vor 18 Jahren für mich, dass der kanalgleiche Frequenzgang ein unverzichtbares Element mit gewisser Priorität bei stereophoner Wiedergabe ist. Natürlich dürfen die anderen Kriterien auch erfüllt werden, man wird mit den Jahren ja auch anspruchsvoller.
Grüße Hans-Martin
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Diskus_GL
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Beitrag von Diskus_GL »

Hallo,

die "Herstellung" einer Paargleichheit beider Stereokanäle ist auch nach meiner Erfahrung eines der wesentlichen Vorteile von DRC-Systemen.
Ansonsten "korrigieren" dieses Systeme noch zu grob, als daß man mit beliebigen LS immer gleiche Ergebnisse erzielen könnte... und wie Nils ja auch schon geschrieben hat: " ist das Abstrahlverhalten (nach einer Entzerrung) maßgeblich für den Klang verantwortlich."
Und das Abstrahlverhalten kann ein DRC-System eben - wenn überhaupt - nur recht grob beeinflussen. Selbst Systeme, die mit mehreren Messungen an verschiedenen Stellen im Raum Direktschall und Reflexionen erfassen und entsprechend "verwerten", können bez. der Reflexionen nur in engen Grenzen korrigieren.
Das was für die Hörempfindungen wichtig ist - und wo wir bei verschiedenen Boxen (und Anlagenkomponenten) immer noch Unterschiede vernehmen - spielt sich in Bereichen ab (tonal, zeitlich so wie bezüglich der betrachteten Zeiträume und bez. des reflektierten Schalls) die bisherige DRC-Systeme erst ansatzweise erfassen.

Interessant wird es wenn man Boxen hat, bei denen man das Abstrahlverjhalten beeinflussen kann (z. B. BeoLab90). Mit solchen Boxen ist es denkbar, mit einen entsprechendem DRC den Klang anderer Boxen zu simulieren... in dem man auch deren Abstrahlverhalten (in einem gegebenen Raum) nachbildet und das DRC da auch korrigierend/simmulierend eingreift...

Aber bis dahin...

Grüße Joachim
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engineer
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Beitrag von engineer »

FoLLgoTT hat geschrieben: Gerade das Abstrahlverhalten ist aber substanziell für das, was oft als "Klangsignatur" beschrieben wird. Es ist komplett für die Interaktion mit dem Raum zuständig und nicht entzerrbar.
Hallo

teilweise ja, teilweise ja. Ein Teil des Abstrahlverhaltens sind Intermodulation und lokale Membranschwingung sind durchaus korrigierbar, zumindest teilweise (allerdings nicht so einfach mit den o.g. Systemen). Da geht einiges.

Hinzu kommen aber die sehr systemspezifischen Resonanzen der Lautsprecher, die auch stark exemplarspezifisch sind und alterungsabhängig. Das ist ein 4D-Feld. Da wird es schwer mit einfachen Kennlinienkorrekturen alle Lautsprecher einander anzugleichen.

Ein paar Aspekte, die nach unseren Messungen stark auf den Detail-Klang wiegen und von LS zu LS durchaus stark unterschiedlich sind.

- Homogenität der Membrandicke, (lokale Masse und Dicke)
- Gleichmäßigkeit der Verklebungen und Verpressungen (Sicke!)
- Anzugsmomente von Verschraubungen
- Homogenität der Metallform

Jedwede Ungleichmässigkeit für dazu, dass die Druckwellen, die durch die Materialien laufen, zu wandernden Echos führen und sich an Kummulationspunkten konzentrieren. Wenn da z.b. ein Blechteil (Arm im Korpus) ein bischen anderes gebogen ist, schwingt und dämpft der anderes, als z.B. 2 andere. Solche Effekt sind praktisch nicht zu kontrollieren. Leider haben die aber gerade bei höheren Leistungen und ungünstigen Anregungen hohe Relevanz. Diese vor allem sind es, die einen richtig glatten Frequenzgang verhindern. Sehr fein verzerrte Frequenzgänge sind aber nur mit sehr detaillierten FIR-Filtern zu kompensieren, die in normalen DSP-Systemen entweder unwirtschaftlich teuer sind oder sich frequenzmässig nicht realisieren lassen.

Gäbe noch mehr zu nennen, aber die Möglichkeiten, Fehler zu kompensieren, sind letztlich begrenzt.
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FoLLgoTT
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Beitrag von FoLLgoTT »

Hallo,
engineer hat geschrieben:teilweise ja, teilweise ja. Ein Teil des Abstrahlverhaltens sind Intermodulation und lokale Membranschwingung sind durchaus korrigierbar, zumindest teilweise (allerdings nicht so einfach mit den o.g. Systemen). Da geht einiges.
Das Aufbrechen der Membran ist zwar am Abstrahlverhalten beteiligt, aber nicht substanziell. Schon alleine deswegen nicht, weil es (außer beim Hochtöner) meist nicht im Übertragungsbereich liegt.

Die Parameter, die das Abstrahlverhalten signifikant formen sind Treibergröße, Treiberabstände, Trennfrequenzen, Schallwandgeometrie und Schallführungen (siehe auch hier). Daran ist von außen leider nichts entzerrbar.

Gruß
Nils
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Hornguru
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Beitrag von Hornguru »

Morgen allerseits

Ein paar Anmerkungen noch zu Dingen die in meiner Erfahrung auch schwer zu entzerren sind, obwohl sie prinzipiell zur entzerrbaren Kathegorie gehören:
- Materialresonanzen die stark temperaturabhängig sind (betrifft mehr als man denkt, Membran, Korb zB)
- Hohlraumresonanzen, die schmalbandig resonieren (zb Druckkammer/Horntreiber)
- Dinge die sich nicht im Nahfeld erfassen lassen und im Fernfeld von Raumreflektionen überdeckt werden (Kantendiffraktion (auch Hornmund), Spinne, Rückwand...)

Geht zwar alles mit entweder komprimissbehafteter Entzerrung oder aufwendigem Messaufbau, aber ein saubrer LS ist immer noch durch nichts zu ersetzen :)
Macht das Leben und die Entzerrung doch wesentlich einfacher.


Ein paar Gedanken zum Rundstrahlverhalten noch:
Klar hat ein Rundstrahler bei gleichem reflektionsarmen F-gang ein helleres Klangbild.
Vielleicht sollte man dann aber auch anders messen.
Wenn man sich in den Präzedenzeffekt einliest, versteht man dass unser Ohr sehr wohl spätere Reflektionen ähnlich tonal gewichten wie die erste Wellenfront (ein langes Zeitfenster beeinflusst die Tonalität des Ursprungsereignisses).
Würde man nun am Hörplatz mit Kugelmikro eine lange Messung ungefenstert nur geglättet bewerten, statt einer Fensterung, so erfasst man doch auch mehr Diffusschall der in die Bewertung einfließt.
Hier finde ich Ulis Psychoakustische Bewertung exzellent. Problem bei einfacher Glättung ist ja auch wieder die Mittelwertbildung zwischen Einbrüchen und Spitzen.
Ulis Filter bildet zuerst eine Minphase, bewertet die gesamt Energie des längeren Zeitraums also gleich mit in der ersten Wellenfront.
Dann werden die Einbrüche gekappt. So orientiert sich die darauf folgende Glättung eher an den Spitzen der Kammfilter.
Letzendlich wird so die Korrekturkurve bei Rundstrahlern oder lebendigeren Räumen im Hochton stärker bedämpft als mit einer klassischen Fensterung oder Mittelung wie bei Dirac.
Das erscheint mir sehr sinnig, und sollte so auch zu einem ähnlicheren Klangbild zwischen zwei gleich entzerrten Lautsprechern mit underschiedlichem Abstrahlverhalten führen.

viele Grüße
Josh
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