Hohe Kunst: Arcadi Volodos und Liszt (Klassik)

Klangperlen und künstlerische Leckerbissen
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Dr. Holger Kaletha
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Hohe Kunst: Arcadi Volodos und Liszt (Klassik)

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CD-Besprechung der zuletzt erschienenen Aufnahme des russischen Pianisten Arcadi Volodos >Volodos plays Liszt< (Sony-Classic), der von vielen als Horowitz-Nachfolger betrachtet wird.

Von Ferrucio Busoni, dem Komponisten, Pianisten und Schüler von Franz Liszt stammt der Satz: Der Notentext ist immer nur die Transkription eines musikalischen Gedankens -- also ist es auch erlaubt, ihn zu verändern, zu bearbeiten, wenn es dem besseren Ausdruck der >poetischen Idee< dient.

In diesem romantischen Geiste beginnt Volodos mit Vallee díOberman aus dem Zyklus >Annees de Pelerinage< (dt. Wanderjahre oder Pilgerjahre), dem ersten Band >Suisse< (Schweiz). In den Notentext wird schon sehr massiv eingegriffen, worüber im Begleitheft unverständlicher Weise nichts vermerkt wird. Von Liszt existiert von diesem Werk eine frühe, virtuose Fassung, die in der blauen Henle-Ausgabe im Anhang abgedruckt ist. Volodos hat offenbar eine Art Synthese aus beiden Fassungen erstellt mit eigenen Bearbeitungen -- was ich mir in einer Mußestunde mal genauer anschauen werde! Man muß es deutlich sagen: Volodos erweist sich immer wieder als ein Meister in der Beherrschung des Klaviersatzes und seine Bearbeitungen zerstören nie die musikalische Substanz. Ihm geht es im Sinne von Busoni darum, die Idee eines solchen Musikstücks in der vollen Ausnutzung aller pianistischen Möglichkeiten so gut wie möglich in ein tönendes Ereignis umzusetzen -- wenn es sein muß >besser<, als es der Komponist selber verstand! Bei Volodosí Bearbeitung von Vallee díOberman meint man, das alles könne eigentlich nur von Liszt selbst stammen! Ein besseres Kompliment kann man ihm eigentlich nicht machen! Nur das apotheotische Finale mit seinen aberwitzig schnellen Oktavkaskaden ist für meinen Geschmack etwas zu sportiv und opulent geraten. Es fehlt der resignative Schluß -- passend zum Roman >Oberman< von Se'nancour, dessen Held sich enttäuscht von der Welt in ein einsames Schweizer Bergtal zurückzieht. Liszt gibt daraus Zitate im Notentext! Aber die Resignation am Schluß hört man schließlich auch bei Volodosí großem Vorbild Horowitz nicht...

Liszt ist in vielerlei Hinsicht die Verkörperung des romantischen Künstlers schlechthin. Die Romantik vertrat die philosophische Idee der Einheit aller Künste -- also Dichtung, bildende Kunst und Musik durchdringen einander, dazu kommt der Versuch einer Verbindung von Natur und Kunst. In seinem dreibändigen Klavierzyklus >Annees de Pelerinage< wird diese Idee schon im Notentext sichtbar durch Zitate von Byron oder Senancour etwa, die Tellslegende, mit der der 1. Band eröffnet wird, die Bezugnahme auf Raffael oder Michelangelo, auf Petrarca und Dante im 2. Band, die berühmten Wasserspiele der Villa díEste im 3. Band. Liszt verlangt dem Interpreten in diesem Sinne das Allerhöchste ab: Er muß nicht nur mit allen Wassern der Virtuosität gewaschen sein, sondern auch noch über eine wahrlich universelle, philosophische Bildung verfügen. Volodos -- das zeigt die Auswahl seines Programms -- stellt sich diesem hohen Anspruch.

Das musikalische Portrait von Michelangelos Grabmahl der Medici >Il Penseroso< aus dem zweiten Band der >Annees de Pelerinage< (>Italie< Bd. I, es gibt noch einen zweiten Band >Italie< Bd. 2) mit dem Motto >Wecke mich aus dem Totenschlaf nicht auf, ich will vom Elend der Welt nichts hören und sehen!< hätte er für meinen Geschmack etwas weniger dramatisch ausladend und dafür schlichter und sinnend gedankenschwerer spielen können, wie das etwa dem großartigen Lazar Berman gelingt. Und bei >Sposalizio< -- nach dem Gemälde >Die Vermählung Marias< von Raffael -- wäre es angebracht gewesen, auf die opulente Ausnutzung aller pianistischen Möglichkeiten -- hier konkret die Bearbeitung des Notentextes durch Oktavierungen -- doch einmal zu verzichten und ganz schlicht so zu spielen, wie Liszt es notiert hat. Im romantischen Kontext stehen Raffaels Mariendarstellungen nämlich für Reinheit, Schlichtheit, Unschuld, >himmlische Vollkommenheit< und auch >Rührung< -- so bei Wackenroder und Tieck, Liszts literarischer Vorlage.
Trotz alledem: Das ist wirklich großes Klavierspiel. Wie er etwa die absolute Trostlosigkeit der >Trauergondel< gestaltet, die sich bei ihm wirklich im ausweglosen Nichts verlierenden Töne (wer anders kann heute schon ein solch beredtes absolutes Pianissimo spielen!), der mephistophelische Trotz und die Verzweiflung in der >Bagatelle ohne Tonart<, oder die Tragik der gescheiterten Revolution in >Funerailles< -- das ist einfach großartig! Und natürlich fehlt auch nicht der virtuose Tastenzauberer Liszt nicht -- vertreten durch die 13. Ungarische Rhapsodie in der Bearbeitung von Volodos. Die Platte zeigt Liszt in allen seinen Facetten -- verkürzt ihn also nicht auf den >Nur<-Virtuosen: zeigt den romantischen Poeten und universellen Künstler, den kühnen Experimentator, der unterwegs ist zur Atonalität.

Also nicht nur ein pianistischer >Leckerbissen<, sondern eine Darstellung des romantischen Anspruchs >hoher Kunst<!
Fazit: Diese Platte ist ein absolutes >Muß< für den Liebhaber von Klaviermusik und großen Klavierspiels gleichermaßen!
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