The Hilliard Ensemble & Jan Garbarek - Abschiedstournee

Klangperlen und künstlerische Leckerbissen
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Fujak
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The Hilliard Ensemble & Jan Garbarek - Abschiedstournee

Beitrag von Fujak »

Einleitung

Vielen ist die musikalisch einmalige Verbindung zwischen dem seit 1974 bestehenden britischen Hillard-Ensemble und dem norwegischen Saxophonisten Jan Garbarek durch die CD "Officium" bekannt.

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Quelle: ECM-Records

Die vier Sänger haben sich auf Musik konzentriert, die vor 1600 geschrieben wurde; sie singen aber auch Stücke moderner Komponisten, wie Arvo Pärt, John Cage, Gija Kantscheli, Heinz Holliger und anderen - diese auch zusammen mit kleineren und größeren Orchestern bzw. Ensembles.


Historie

Die Zusammenarbeit zwischen dem Hilliard Ensemble und Jan Garbarek geht zurück auf eine Idee des Gründers und Produzenten von ECM-Records, Manfred Eicher. Er wollte musikalisches Neuland betreten, indem er alte Vokalmusik (wie die z.B. von Christobal de Morales) mit moderner Jazz-Improvisation zusammenzubringt. Im Frühjahr 1993 konnte er dafür das britische Hilliard-Ensemble und den norwegischen Saxophonisten Jan Garbarek für eine Probesession in einer Kirche gewinnen. Als das Hilliard Ensemble ein erstes Vokalstück von de Morales anstimmte, um Jan Garbarek mit ihrem Repertoire vertraut zu machen, erwartete jeder, dass dieser erstmal zuhört, um sich einen Eindruck zu verschaffen. Stattdessen griff er spontan zu seinem Saxophon und begann eine Art fünfte Vokal-Stimme hineinzuimprovisieren. Als die letzten Töne in der Kirche verklungen waren, herrschte lange absolute Stille bei allen Anwesenden. Es war allen Anwesenden klar, dass hier etwas bis dahin einmaliges passierte, das es wert war, im Rahmen einer Produktion aufgezeichnet zu werden.

Im September 1993 reisten Jan Garbarek und das Hilliard Ensemble Künstler zusammen mit dem Produzenten Manfred Eicher, dem Tonmeister Peter Laenger und seiner Crew nach Österreich zur Benediktinerprobstei St. Gerold und zeichneten im dortigen Kirchenraum 15 Lieder unter anderem von de Morales aber auch anderen alten Komponisten auf. "Officium", so hieß die erste 1994 erschienene CD, die auf Anhieb ein ebenso großer Erfolg wurde wie die daran anschließende Officium-Tournee durch viele Länder. Es folgten drei weitere Cds (Mnemosyne 1999, Officium Novum 2010 sowie eine letzte, die demnächst erscheinen wird ...).

Nach 41 Jahren geht das Hilliard Ensemble Anfang 2015 in den Ruhestand. Aus diesem Anlass veranstaltet das Ensemble zusammen mit Jan Garbarek zur Zeit eine Abschiedstournee durch Europa, die im Frühjahr 2015 in Cambridge in Form des "Final Officium Concert" seinen Abschluss finden wird.


Das Konzert

Gestern Abend hatte ich die Gelegenheit, in der St. Michaelkirche im Herzen Münchens eines der Abschiedskonzerte zu erleben. Und ich muss sagen, dass es eines der ergreifendsten Konzerte gewesen ist, die ich gehört habe.

Zunächst erschien Jan Garbarek im Altarbereich und begann die ersten langgezogenen Töne zu spielen. Dabei setzte er die Raumakustik der Kirche bewusst ein, indem er während des Spielens durch den etwa 100qm großen Altarraum schritt und dabei durch verschiedene Richtungen des Schalltrichters und durch unterschiedliche Entfernungen zu den Mauern eine große Variationsbreite von Raumeffekten in seinen Klängen hervorrief. Allein das war schon beeindruckend.

Nach einiger Zeit setzte gleichsam aus dem Nirgendwo die hohe Countertenor-Stimme von David James ein, die aufgrund ähnlicher Tonlage zunächst eher wie ein langezogener schwebender Nachhall der Saxophontöne klang. Nach und nach trat sie dann zusammen mit den anderen Stimmen von Rogers Covey-Crump (Tenor), Steven Harrold (Tenor) und Gordon Jones (Bariton) deutlicher hervor, indem sie vom hinteren Teil des Hauptschiffs - verteilt auf Haupt- und Seitengänge - langsam nach vorne schritten und klanglich mit dem Saxophon von Jan Garbarek ein sehr atmosphärisches Klanggebilde schufen. Dabei setzten sie auch bewusst die Obertoncharakteristik ihrer Stimmen ein, was dem ganzen einen fast überirdischen Klang verlieh.

Auch wenn das Hilliard-Ensemble danach die meiste Zeit vorne an ihren Pulten blieben, so blieb die Raumakustik auch danach ein gestaltendes Element, indem Jan Garbarek die meiste Zeit im Altarraum während des Spielens umherwanderte und damit seinen typischen Saxophon-Klang mal mehr indirekt und atmosphärisch und dann wieder direkt und strahlend prägnant in den Gesang des Ensembles einflechtete. Mal umspielte er sanft den Stimmenklang, mal setzte er auch scharfe Kontrapunkte, in denen deutlich wurde, dass Stimmen und Saxpophon letztlich doch aus eigenen Welten mit eigener Klangcharakteristik stammen. Genau dieses Wechselspiel aus inniger Verwobenheit und dann wieder deutlicher Distanz des Saxophons zu den Stimmen verlieh der doch eher meditativ geprägten Darbietung immer wieder Spannungsbögen, die aufhorchen ließen.

Die Akustik in einer so großen Kirche ist für Musiker nicht einfach, denn der charakteristisch lange und diffuse Nachhall durch Mittelschiff, Seitenschiffe sowie einem großem Altarraum unter einem hohen Gewölbe bringt es mit sich, dass unterschiedliche Reflexionszeiten und Reflektionsintensitäten von den Musikern in ihrem Zeitversatz berücksichtigt werden müssen - besonders dann, wenn sie sich in unterschiedlichen Teilen der Kirche aufhalten und dennoch als Einheit erklingen müssen. Das erfordert ein hohes Maß an Koordination von gleichzeitigem (Zu-)Hören auf die anderen Stimmen im Raum, Auswerten des Zeitversatzes und Konzentration auf die eigene Darbietung. Hier zeigte sich die große Erfahrung der einzelnen Musiker.

Was bereits auf der CD Officium schon sehr eindrucksvoll klingt, involvierte mich live nochmal ein ganzes Stück mehr. Wer hier keine Gänsehaut bekommt, muss eine Seele aus Stein haben. Die meisten Stücke haben einen eher sacralen Charakter, doch bei einigen wenigen schnelleren und rhythmisch akzentuierteren Stücken konnte man erkennen, wie groß das Repertoire ihres Könnens ist, welches das Hilliard Ensemble beherrscht.

Was mich ebenfalls sehr beeindruckt hat: Man könnte ja durchaus annehmen, dass ein solch eingespieltes Quintett nach so vielen Jahren eine gewisse Routine im Ausdruck erkennen ließe, eine Art Absolvieren (um nicht zu sagen: Herunterspielen) des Programms. Doch bei jedem einzelnen Stück sangen und spielten sie mit der ganzen Leidenschaft, als würden auch sie das erste Mal hören und entdecken, welche Klangdimension ihr Zusammenspiel erzeugt. Sie bezogen sich mit ihren Stimmen, sowie mit Blicken und Gesten während des Spielens aufeinander. Sorgfältig ließen sie bei jedem Ton ihre Stimmen einschwingen, in die Harmonie des Gesamtklanges der Stimmen einstimmen und ebenso wieder verklingen.

Das letzte Stück des Programms wurde wieder über die gesamte Kirche verteilt dargeboten. Und an dessen Ende sammelten sich Musiker nach und nach wieder vorne beim Altar und ließen das Stück ausklingen, indem sie singend und musizierend langsam schreitend in die Nebenräume des Altarbereiches verschwanden - ein akustischer Effekt, der das Stück in einer unendlichen Weite entschwindend immer leiser verklingen ließ.

Nach einer Weile der Stille setzte ein langanhaltender Applaus ein, den die fünf Musiker mit zwei Zugaben honorierten. An deren Ende gab es stehende Ovationen und Blumen.


Fazit

Ich kann nur jedem, der sich von dieser Musik angesprochen fühlt, wärmstens ans Herz legen, die letzten Gelegenheiten für einen Konzertbesuch zu nutzen. Dieses Erlebnis wird sich sicher tief in die Seele eingraben.

Zum Schluss ein Schnappschuss, dessen Qualität dem Umstand geschuldet ist, dass meine Handy-Kamera mit den Lichtverhältnissen dieses Ambientes überfordert war.

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Grüße
Fujak
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Rudolf
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Beitrag von Rudolf »

Hallo Fujak,

vielen Dank für deinen schönen Bericht, der mich leider ganz traurig macht. Traurig deshalb, weil ich uns keine Karten für die Kölner Konzerte besorgt habe. Zeit und Karten waren ausreichend vorhanden, aber notwendige Terminabstimmungen mit Freunden zogen sich derart in die Länge, dass es schließlich zu spät war. :cry:

Gott sei Dank gibt es ja zum Andenken die von dir zitierte CD. Immer wieder ein Hochgenuß!

Viele Grüße
Rudolf
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dukezero
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Beitrag von dukezero »

Jepp, schöner ausführlicher Bericht! Jan Gabarek, da brauchts kein Weihrauch!
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dukezero
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Beitrag von dukezero »

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frankl
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Beitrag von frankl »

Hallo Fujak,

das ist ein schöner Bericht. Die genannten Alben sind auch alle in meiner Sammlung zu finden. Officium Novum in 96/24 war eines meiner ersten highres-Alben. Ich konnte diese Besetzung zweimal Live erleben und war auch begeistert wie die nicht gegen die schwierige Akustik eines Kirchenschiffs angespielt haben, sondern die Akustik in ihre Aufführung integriert haben (unter anderem auch durch wechselnde Aufstellungen).

Dieses Jahr passten deren Tourdaten leider nicht zu meinem Terminkalender.

Viele Grüße,
Frank
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Fujak
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Beitrag von Fujak »

Hallo Rudolf, hallo Ulli,

als ich vorgestern zusammen mit meinen Freunden etwa eine halbe Stunde vor Konzertbeginn dort auftauchte, weil diese noch eine Karte überzählig hatten, waren sie nicht die einzigen, die dort Karten anzubieten hatten. Ich denke, dass man durchaus Chancen hat, direkt am Abend welche zu ergattern; allerdings sollte man die besagte halbe Stunde vorher da sein. Vielleicht wäre das noch eine Möglichkeit, an die begehrten Karten zu kommen.

Viel Glück!
Fujak
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