Solti - Bruckners 9te

Klangperlen und künstlerische Leckerbissen
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Bernd Peter
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Solti - Bruckners 9te

Beitrag von Bernd Peter »

Hallo,

es gab mal eine Zeit, da habe ich Klassik CDs nach dem Cover gekauft.

Das war zu Beginn des CD-Zeitalters, wo jede Woche neue digitalisierte LPs erschienen und ich als stolzer CD-Playerbesitzer ( ein Nordmende mit Schublade) meinte, jetzt ist der Zeitpunkt, sich auch mit dieser Art von Musik anzufreunden.

Die erste gab es beim Bücherclub und gefiel mir (visuell) außerordendlich gut:

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Als nunmehr Kenner der Materie fand ich dann diese, der Bursche war anscheinend Engländer und sah für mich aus, wie ein Dirigent eben auszusehen hat. Also zugeschlagen und gekauft:

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Was soll ich sagen, mit der vorhandenen Anlage klang das alles müde und flach, da war Tina Turner mit Private Dancer (meine allererste CD) schon eine andere Hausnummer.

Aber ich hab die Silberscheiben behalten und durfte im Laufe der technischen Weiterentwicklung feststellen: je besser die Anlage wird, umso mehr kommt man zur klassischen Musik.

Und Soltis Aufnahme von 1986 mit dem Chicago Symphony Orchestra hatte irgendwie was, die hab ich mir immer mal wieder reingezogen.

Seit 2-3 Jahren höre ich sie mir regelmäßig an, die geht bei mir tief rein. Da bin ich mitten drin.

Toller Komponist, dieser Bruckner.

Bis ich vor einigen Tagen eine Dokumentation über Solti gesehen habe.

Da hab ich verstanden, daß Bruckner nicht allein verantwortlich ist. Ganz und gar nicht.


Was hat es also mit diesem Sir Georg Solti auf sich?

Na ja, erstens war er schon mal kein Engländer, sondern ein ungarischer Jude namens György Stern.

Und weil man seinen Vater drängte, einen ungarischen Namen anzunehmen, wurde aus Stern Solti, nach dem Ort Solt, aus dem die Familie stammte.

Der kleine Solti erhielt zunächst Klavierunterricht und studierte später an der Franz-Liszt-Musikakademie in Budapest, die seiner Meinung nach damals weltbeste Ausbildungsstätte für Musiker.

Über Toscanini kam er während des 2.Weltkrieges in die Schweiz, wo er sich als Klaviervirtuose über Wasser halten konnte.

Nach 1945 wurde er von den Amerikanern als Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper in München eingestellt, da fast alle große deutsche Dirigenten noch mit der Entnazifizierung zu kämpfen hatten.

Über die weiteren Stationen Frankfurt und London wurde er Chefdirigent des Chicago Symphony Orchestras, das er 22 Jahre bis 1991 führte.


Soltis Durchbruch zu einem der weltbekannten Dirigenten kam nicht über die Aufführungen, sondern über die Tonstudios. Er war der DECCA Dirigent.

Solti war einer von denen, die bis ins Kleinste hinein immer und immer wieder wiederholten und nachhörten, bis es für ihn perfekt erschien.

Zum Leidwesen der Orchestermusiker, zum Glück für uns Platten- und CD Käufer.

Man sollte wissen, daß sein "Ring der Nibelungen" mit den Wiener Philharmonikern (Einspielzeitraum schlappe 7 Jahre!) die meistverkaufteste Klassiktonaufnahme der Geschichte ist mit riesigem Abstand zur 2t meistverkauftesten Platte.

Die allgemeine Anerkennung als einer der ganz Großen in der Musikwelt kam aber erst nach dem Tode von Karajan und Co..


Uppps, etwas abgeschweift, nun zurück zum Dirigenten Solti an sich.

Während man bei Karajan an Ästhetik, bei Furtwängler an Klangfarben und bei Kleiber an Lebendigkeit denkt, ist es bei Solti Energie, pure Energie.

Der Bursche hatte eine Lebens- und Strahlkraft, die er unmittelbar auf das Orchester und die Musikdarbietung übertragen konnte.

Die Chicago Symphony Orchestra wird seit Solti wieder zu den großen Symphonieorchestern der USA (Big Five) gezählt und gilt als eines der besten weltweit.


Wie angesprochen, Solti war kein Karajan, kein Furtwängler, kein Kleiber, seine Musik hat einen schneidigeren und weniger klangschönen Stil, aber das paßt mMn perfekt zu Bruckners 9.Symphonie.

Da geht was ab. Das bleibt man nicht ruhig sitzen und schwelgt vor sich hin. Das nimmt einen mit.

Also ruhig mal besorgen und (zu Weihnachten unterm Christbaum mit der Familie :wink: ) anhören.


Gruß

Bernd Peter
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Hallo Bernd Peter,

als Ergänzung empfehle ich Abbados letztes Konzert mit eben der Bruckner 9. Da kann man bei dieser großen Besetzung Transparenz und Klangfarben hören, die nicht bei bloßer Brillanz stehenbleiben.

Übrigens traf Solti in Chicago nicht auf einen Trümmerhaufen. Immerhin war das CSO Reiners altes Orchester, wenn es wohl auch mal wieder ein wenig in Schwung gebracht werden wollte. Das war dann gewiss Soltis Domäne und Werk. Dafür Hut ab!

Diese Anmerkungen sollen ihn jedoch nicht herabsetzen. Soltis Aufnahmen haben mich lange Jahre in die Klassik hineingeleitet. Aber es gibt oft noch mehr Facetten eines Werks, die vielleicht eher von anderen Dirigenten aufgedeckt werden.

Gruß

Jochen
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frankl
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Beitrag von frankl »

Hallo Bernd Peter und andere Forenten,

zu meinen ersten CDs, die ich auch seit vielen Jahren immer wieder gerne
anhöre, gehört diese hier:
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Die Bilder einer Ausstellung von Mussorgsky und Ravel sind ja auch ein
Stück, das gut zu Soltis Energie geladenem Stil, den Bernd Peter beschreibt,
passt.

Ich durfte Solti einmal live mit den Berliner Philharmonikern erleben, unter
anderem stand Tschaikovskys Pathétique auf dem Programm. Die Interpretation,
die Spieltechnik und den Klang fand ich einfach nur perfekt. Ich konnte den
Dirigenten halb von vorne sehen. Solti war sehr konzentriert und ich hatte
den Eindruck, das das Orchester präzise seinen Wünschen folgt. Dabei waren
zu meiner Überraschung Soltis Gesten nicht so ausladend, wie man es sich
bei dem Coverbild im Eingangsbeitrag vorstellen könnte. Die Kommandos an das
Orchester wurden meist mit eher mikroskopischen Bewegungen der Hände und
teilweise eher mit Blicken übermittelt.

Viele Grüße,
Frank
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Fujak
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Beitrag von Fujak »

Hallo Bernd Peter,

schöne Rezension - informativ und unterhaltsam geschrieben. Danke!

Grüße
Fujak
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Bernd Peter
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Beitrag von Bernd Peter »

Hallo Frank,
...zu meinen ersten CDs, die ich auch seit vielen Jahren immer wieder gerne
anhöre,
die hab ich natürlich auch, strotzt vor Kraft. :cheers:

Hallo Fujak,
schöne Rezension - informativ und unterhaltsam geschrieben. Danke!
für 150€ die Stunde mach ich das gern. Kontoverbindung hast du ja. :cheers:

Gruß

Bernd Peter
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Koala887
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Beitrag von Koala887 »

Hallo Bernd Peter,
Bernd Peter hat geschrieben:für 150€ die Stunde mach ich das gern. Kontoverbindung hast du ja.
ein stolzer Stundenlohn! Da werde ich heute Abend mal hören, ob du den auch wert bist. :wink:
Sollte das zutreffen, werde ich beim Flughafenchef mal ein gutes Wort für dich einlegen. :cheers:

Schöne Grüße
Daniel
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Bernd Peter
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Beitrag von Bernd Peter »

Hallo Daniel,

da du über das nötige Equipment verfügst:

Aufdrehen, aufdrehen, aufdrehen, was das Zeug hält, damit sich

die Musik schön mächtig vor dir aufbaut.

Gruß

Bernd Peter
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Bernd Peter
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Beitrag von Bernd Peter »

Hallo Jochen,

hat etwas gedauert, die von dir angesprochene Aufnahme zu bekommen und anzuhören.

Ich finde, damit läßt sich auf sehr einfache Weise erkennen, wie unterschiedlich Werke durch Dirigenten umgesetzt werden können. Deshalb mein Dank für deinen Hinweis.

Abbado dirigiert das - auch für mich - facettenreicher, was ich "vermisse" ist die treibende Kraft hinter der Musik, die bei Solti so hervorsticht.

Emotional bin und bleibe ich bei Solti.

Gruß

Bernd Peter
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