Referenzaufnahmen in Sachen Violine?

Klangperlen und künstlerische Leckerbissen
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Melomane
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Referenzaufnahmen in Sachen Violine?

Beitrag von Melomane »

Einen guten Morgen insbesondere an die Klassikliebhaber,

ich bin wohl ein Artverwandter eines früheren RCA-Chefs, der immer auf der Suche nach dem "schönsten" Violinenklang gewesen ein soll.

Schön sei zumindest in meinem Fall definiert als: möglichst nah an der Klangpracht einer originalen Violine.

Und zwar aus dem klassisch-romantischen Bereich; absichtlich schräg klingende Einspielungen der Neuen Musik oder auch die Produktionen der historisch besaiteten Vertreter ihrer Art seien außen vor. Und schön sei verstanden als Gegensatz zu den zumal in den hohen Lagen häufig giftig, überspitzt, strähnig, in summa Gehörnerven malträtierend abgebildeten Violinen vieler Einspielungen aus allen Dekaden seit Beginn der LP-Zeit in den 50er Jahren, seien sie analog oder digital produziert.

Also: Welche Einspielungen könnt ihr empfehlen? Egal, ob Kammermusik oder große Besetzung, digital oder analog, CD oder HiRes?

Danke im voraus für entsprechende Empfehlungen.

Gruß

Jochen
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Hans-Martin
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Beitrag von Hans-Martin »

Hallo Jochen
Kann es das geben, was du suchst?
Es klingt für mich wie "wasch mich, aber mach mich nicht nass"...
Gebaut werden Geigen für Musiker, die für Zuhörer spielen, die auf Distanz sitzen, womöglich mitten oder hinten im Konzertsaal. In welchem Abstand will man nun die Klang-Referenz-Geige abhören, um danach die Aufnahme zu bewerten?
Der Klang der Saite selbst liegt nicht mehr im Einflussbereich des Geigenbauers, darüber entscheidet der Spieler (Sorte, Spielweise). Der Geigenbauer macht das Gehäuse, welches mit Resonanz des Holzkorpus den Ton der Saite verstärkt.
Kommt man mit dem Mikrofon zu nahe, kommen erfahrungsgemäß die Obertöne der Saite stärker heraus, dafür der Nachhall des Raums weniger.
Die spektrale Verteilung der reichlichen Obertöne ist bei der Geige vielfach untersucht, z.B. hier.

Wenn die Geige bei der Wiedergabekette echt klingen sollt, muss der Solist aus einem Kanal spielen, sonst kommt der Einfluss der Doppelabstrahlung von 2 LS hinzu. Obendrein sind die überwiegend meisten Klassikaufnahmen invertiert, was das Obertonspektrum auch noch besonders deutlich in Erscheinung treten lässt.
es ist kein Wunder, dass das Thema kontrovers diskutiert wird.
Grüße Hans-Martin
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Hallo Hans-Martin,

falsche Antwort, auch wenn sie richtig sein mag. ;)

Denn wenn wir auf dieser technischen Seite einsteigen, öffnen wir die Büchse der Pandora. Und dann finden wir womöglich auf deren Grund die ketzerische Einsicht, dass man sich mit dem ständigen Bestreben, die Anlage zu verbessern, letztlich keinen Gefallen tut, weil a priori eine "naturgetreue" Wiedergabe nicht möglich ist.

Auf der Ebene könnte ich für mich die Konsequenz ziehen: Kauf ich mir ein Shure, Grado, vielleicht Koetsu und höre in einer reinen Röhrenkette, greife zu den hochwandigen Klangschalen mit der roten Flüssigkeit - dann klappt das schon.

Aber vielleicht finden sich ja doch auch Einspielungen, die dem Ideal auch ohne solche Maßnahmen wenigstens nahe kommen.

Gruß

Jochen
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Vittorio
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Franz Liszt and the Violin - Irnberger / Torbianelli

Beitrag von Vittorio »

Hallo Jochen,

eine tolle Idee! Das würden mich, sowohl die Empfehlungen selbst, als auch die Meinungen darüber brennend interessieren. Es wird bestimmt nicht einfach zu einem Konsensus zu kommen, weil unsere Anlagen sooo unterschiedlich konzipiert sind. Wir versuchen aber dabei die Technik bei Seite zu lassen und den Focus auf die Musik zu halten.

Auf die Gefahr hin, dabei gesteinigt zu werden, schlage ich folgende Aufnahme zu Diskussion vor, die ich bei mir nicht nur klanglich genieße.

Franz Liszt and the Violin - Irnberger / Torbianelli

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https://www.gramola.at/de/shop/produkte ... _tracklist

https://www.jpc.de/jpcng/classic/detail ... um/3283310

Beste Grüße
Vittorio
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Melomane
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Beitrag von Melomane »

Vittorio hat geschrieben:Diskussion
Hallo Vittorio,

vorab: Ich habe die Aufnahme nicht, höre nur gerade mittels Qobuz-mp3-Stream hinein. Damit bietet sich mir folgendes Bild:
1. Die Farben der Violine sind für meine Anlage/Ohren durchaus nicht übel, da gibt es deutlich nervigere Aufnahmen.
2. Im übrigen erscheint die Violine im Vergleich zum Klavier übergroß, das Klavier klimpert verglichen damit unstrukturiert-zurückgesetzt im Hintergrund herum. Aber das mag Konzept sein, immerhin legt der Titel ja solche Akzentsetzungen nahe.

Und wie gesagt: mp3 mag es auch geschuldet sein.

Musikalisch ansonsten durchaus auch nicht uninteressant. Danke also für den Hinweis auf diese Produktion.

Gruß

Jochen
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frankl
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Beitrag von frankl »

Hallo Jürgen,

bei meinen Alben fallen mir schon eine ganze Reihe ein, die mir unter anderem wegen des Violinklanges besonders gefallen - nicht leicht, sich zu entscheiden.

Ich bringe mal die folgenden zwei mit Gil Shaham an der Violine ins Rennen:

Einmal mit Orchester, die Violinkonzerte von Samuel Barber und Erich Wolfgang Korngold:
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Da ist die Violine recht groß vor dem Orchester spielend, aber wie ich finde mit einen tollen Klang.

Und hier in kleiner Besetzung, Paganini for Two mit Gitarre und Violine:
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Diese Aufnahme klingt für mich sehr realistisch oder live, beide Instrumente kommen sehr ausgewogen zur Geltung.

Viele Grüße,
Frank
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Hans-Martin
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Beitrag von Hans-Martin »

Ich benutze gern
Stereoplay 679002 (1984) Highlights CD4
F.J. Maier Collegium Aureum
Aufnahmedatum: April 1984
Aufnahmeort: ev. Kirche in Honrath b. Köln
Mikrofone: ORTF Schoeps Mk4
Beiheft mit bemaßter Skizze der Mikrofone- und Musikeraufstellung
Recorder: Sony PCM-F1 /1610
Aufnahme: Dr.-Ing. Benjamin Bernfeld, Wolfgang Seikritt
harmonia mundi acoustics Freiburg
Polarität: invertiert geliefert

Die koinzidente Mikrofonaufstellung mit vergleichbarer Besetzung am selben Ort kam unter
HiFiVisionen (Heise Verlag) 60102 1987
Klassik CD3
Collegium Aureum Konzertmeister F.J. Maier
Aufnahmeort: ev. Kirche in Honrath b. Köln
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Mikrofone: MB KA-30 (heute Haun, Obrigheim)
Mikrofonaufstellung: XY Supercardioid
Bemaßte Skizze der Aufstellung von Mikrofonen und Musikern einschließlich Angaben über Holz/Steinboden, Fotos vom Set im Beiheft.
Mixer: SATT Sam42
Recorder: Sony PCM-F1 Sony SLO323
Tonmeister: Dr.-Ing. Ben Bernfeld
Polarität: Positiv

Besonders interessant der Track mit der musikalischen Standortbestimmung, wo Maier die verschiedenen Geigen vorstellt und ihr unterschiedlicher Klang sich deutlich unterscheiden lässt. Im selben Raum, mit denselben Mikrofonen bei ähnlichem Abstand.

Wenn man sich diese anhört, fragt man natürlich bei jeder CD, welches Instrument der Solist wohl spielen mag. Wie klingt denn eine Geige in Natur? Gegenfrage: Welche Geige von welchem Geigenbauer?

Robert E. Greene, Mathematikdozent und Redakteur bei The Absolute Sound, spielt in verschiedenen Orchestern Geige, schimpft unermüdlich über die viel zu nah und präsent überzeichnete Solisten-Geigen-Aufnahmen, er bevorzugt koinzidente Mikrofone auf angemessenem Abstand, weil sie Phasenprobleme vermeiden (beide Mikrofone haben denselben Abstand zum Instrument, folglich gibt es keine Verschrillung durch Kammfiltereffekte).
Er hat bei dieser Aufnahme assistiert und findet sie höchst realistisch (Orchesteraufnahme, keine Solovioline):
Waterlily Acoustics WLA WS 76 (2003)
Mahler Symphony No.5 Yuri Temirkanow St Petersburg Philharmonic Orch.
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Mikrofone: Blumlein Pearl ELM30 Bändchen über Sitzreihe 7
Mixer: Millennia Media HV3
Recorder: Tascam DS-D98
Aufnahme: Kavichandran Alexander
Polarität: Positiv
Ein Höhepunkt in der minimalistischen Aufnahmetechnik, Realismus pur. Dazu gibt es viele begeisterte Rezensionen im www!

Ebenfalls überragend durch gute Mikrofonierung, aber auch kein Violinsolo im Sinne des Threads:
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Rachmaninoff - Grieg: Symphonic Dances - Mata / Dallas S. O. Label Pro Arte
Neben einigen Reference Recordings ein Maßstab für perfekten Orchesterklang.

1dB mehr Höhen (Pegel beim Hochtöner) und die Geige klingt nervig, 1dB weniger und sie klingt nasal verfärbt, das Fenster ist eng. Wenn das Soloinstrument mit linearem Mikrofon (die meisten betonen bei 10kHz schon auffällig) aufgenommen wird und mit einem linearen Lautsprecher wiedergegeben wird, was erwartet einen bei der Wiedergabe von 2 LS, die das Instrument in der Mitte als Phantomquelle zusammensetzen? das!
Grüße Hans-Martin
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