Phase und Gruppenlaufzeit (Dr. Gert Volk)

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Phase und Gruppenlaufzeit (Dr. Gert Volk)

Beitrag von Aktives Hören »

Die Begriffe Phase und Gruppenlaufzeit tauchen des Öfteren bei der technischen Diskussion von Lautsprechern auf. Unser Schirmherr hatte schon vor einiger Zeit eine Begriffsbestimmung angemahnt:
Friedrich Müller hat geschrieben:Das Forum hat eine so schöne Diskussionskultur, dass gerade die Technikexperten aufgerufen sind, immer auch an die Nicht-Techniker zu denken. Offenbar hat aus Höflichkeit noch niemand die sehr berechtigte Frage gestellt: "Was ist eigentlich Phase?" Die Antwort könnte sein: Begriffe wie "Laufzeit" und "Frequenz" sind wissenschaftlich genauso exakt wie "Phase", aber anschaulicher.
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Gert ist der Aufforderung Friedrich Müllers, allerdings in einem anderen Zusammenhang, nachgekommen:
Fortepianus hat geschrieben:Betrachten wir mal eine Sinusschwingung mit einer Frequenz von 100 Hz. Die hat eine Schwingungsdauer von 10 ms (das ist der Kehrwert von 100 Hz). Die Schwingungsdauer ist die Zeit, bis der Sinus wieder von vorn anfängt. Wird das Signal irgendwo um sagen wir 1 ms verzögert, ist das das Gleiche wie eine Phasenverschiebung um 36 Grad - nämlich ein Zehntel von 360 Grad, was gerade die volle Sinuswelle darstellt und ja in unserem Beispiel 10ms dauert. Nimm nun einen Sinus mit 200 Hz. Da dauert's nur 5ms, bis die Schwingung wieder von vorn anfängt. Wenn diese 200 Hz auch um 1ms verzögert werden, gibt das eine Phasendrehung von 72 Grad (ein Fünftel von 360 Grad).

Au, höre ich da jemanden aufstöhnen? Die Phase ist ja gar nicht konstant? Das ist völlig wurscht, es ändert ja auch nichts am Klang, wenn man den CD-Player 1 ms oder auch 10 min später startet. Entscheidend ist die Laufzeit des Signals, die sog. Gruppenlaufzeit. Am oben gewählten Beispiel sieht man, dass bei konstanter Laufzeit des Signals von 1ms sich die Phase linear mit der Frequenz ändert. Genau so ist die Gruppenlaufzeit definiert: Es ist die Änderung der Phase über der Frequenz. Mit einem Minus davor, weil sich die Phase mit steigender Frequenz nach hinten verschiebt, wenn das Signal verzögert ist.

Mathematisch korrekter ausgedrückt: Die Gruppenlaufzeit ist minus Ableitung der Phase nach der Frequenz. t_gr=-dφ/df. Die Gruppenlaufzeit wird also nur aus der ÄNDERUNG der Phase bestimmt. Fällt die Phase konstant - ist also die Phase über der Frequenz eine fallende Gerade - ist die Gruppenlaufzeit eine Konstante. Weil die Ableitung einer Geraden eine Konstante ist, nämlich die Steigung der Geraden. Besitzt die Gerade noch eine Konstante, also wenn Du z. B. einfach bei allen Frequenzen 90 Grad dazu addierst oder subtrahierst, ist das egal. Denn die Ableitung einer Konstanten ist Null.
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Je nachdem, wie weit die einzelnen Chassis der Schallwandler auseinanderliegen, kommt es auch zu Laufzeitverschiebungen (im Vergleich zu einer Punktschallquelle). Wie sieht es mit diesen Verschiebungen aus? Sind sie nicht genauso relevant wie die Phasendrehungen durch die Frequenzweiche?
Fortepianus hat geschrieben:Ja, die Anordnung der Chassis kann natürlich auch eine unterschiedliche Laufzeit des Schalls bewirken, das ist rein geometrisch bedingt. Ob es da bei Franz was zu korrigieren gibt, hängt davon ab, wie die Weiche seiner Silbersand genau gebaut ist, ob sie also den Versatz der Chassis berücksichtigt. Bei der Subtraktivweiche, die ich gerade für meine BM 20 baue, mache ich das. Dazu muss man genau bestimmen, welche Wege der Schall vom jeweiligen akustischen Zentrum des Chassis zum Ohr des Hörers zurücklegt. Dabei gibt es zwei Umstände zu berücksichtigen - ich nenne das jetzt mal den Höhenversatz und den Tiefenversatz.

Höhenversatz: Nehmen wir mal an, ein Hochtöner und ein Mitteltöner seien so eingebaut, dass der HT genau in Ohrhöhe sitzt, während der MT sagen wir 10 cm darüber oder darunter sei. Angenommen, die akustischen Zentren (meist ungefähr beim vorderen Ende der Schwingspule gelegen) wären in einer Ebene mit der Schallwand. Sitzt man nun in 3 m Entfernung, kann man die unterschiedliche Entfernung zu den beiden Chassis mit dem guten alten Satz des Pythagoras ausrechnen. Zum HT sind's 3 m, zum MT 3,00166 m, also 1,66 mm mehr. 3 zum Quadrat plus 0,1 zum Quadrat und die Wurzel aus dem Ganzen. Nehmen wir mal weiter an , die Übernahmefrequenz der beiden Kandidaten sei bei 2kHz. Wellenlänge von 2kHz ist 17cm (Schallgeschwindigkeit durch Frequenz). Bei dieser Frequenz entsprechen 17 cm also einer Phasendrehung von 360 Grad. 1,66 mm durch 17 cm mal 360 Grad ergibt eine Phasendrehung durch den Höhenversatz von 3,5 Grad. Das ist recht wenig. In Zeit ausgedrückt: 4,88 µs (Weg durch Schallgeschwindigkeit). Die kürzeste Zeitkorrektur, die der Audiovolver machen kann, sind 22 µs. Die 4,88 µs sind also geschenkt.

Macht man nun diese Rechnung für zwei Chassis, die bei 100 Hz aneinander übergeben und sagen wir 25 cm auseinander sind, kommt man auf 10,4 mm Laufstreckendifferenz bzw. 30,6 µs. Dreht die Phase bei 100 Hz um 1,1 Grad. Ist mindestens so geschenkt.

Tiefenversatz: Das ist der Versatz des akustischen Zentrums eines Chassis in Bezug zur Schallwand oder zum akustischen Zentrum eines anderen Chassis. Diese Werte sind in der Regel größer als der der Höhenversatz. Abstand durch Schallgeschwindigkeit gibt den Zeitversatz. Beispiel: Bei meiner BM 20 liegt das akustische Zentrum des HT ziemlich genau auf der Schallwandebene. SHT (der Air Motion) 15 µs, MT 208 µs, TT 191 µs dahinter. Das sind bereits relevante Zeiten, besonders der Zeitversatz zwischen TT/MT und HT/SHT, die ich durch geeignete Allpassglieder korrigiere.

Schaut man sich aber die geometrische Anordnung der Chassis meiner BM 20 und z.B. Franzens FM 501 an, fällt auf, dass es bei der FM 501 erheblich weniger zu korrigieren gibt. Ob Herr Müller das dennoch macht, weiß ich nicht.

Die Laufzeitdifferenzen, die bei den üblichen Butterworth-, Linkwitz- oder Besselweichen auftreten, liegen in einer ganz anderen Größenordnung. Da geht's um ms, nicht um µs.
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Zum Schuss zitieren wir noch einmal Friedrich Müller:
Friedrich Müller hat geschrieben:So wichtig "Phase" ist, so ist sie doch nur eine Sekundäreigenschaft, die für Ingenieure zur Berechnung eines Systems hilfreich ist, deren Ursachen aber stets woanders liegen. Und diese Ursachen sind oft ganz elementar und damit auch für Laien nachvollziehbar. Man denke nur an die "phasenkorrigierten" Schallwände, die selbst Passivboxen zu einem exakten Verhalten verhelfen sollten. Das waren einfach Abstufungen im Gehäuse, mit denen der z.B. der Tieftöner etwas nach vorne gesetzt wurde, damit alle Membranen etwa in der gleichen Ebene liegen.
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