cornoalto hat geschrieben:
Hoffentlich liest kein Schlagzeuger mit, denn man könnte meinen, Du machst einen Unterschied zwischen Musikern und Schlagzeugern nach dem Motto: Die Musiker und die Schlagzeuger können jetzt mal Pause machen.
Hallo Martin,
nein, so war es ganz sicher nicht gemeint: Schlagzeuger sehe ich ebenso als Musiker ...
Ich weiß nur, daß einigen von Ihnen speziell die Cymbals häufig auf Aufnahmen ebenfalls nicht "den echten" Eindruck vermitteln, den sie aus dem Nahfeld gewohnt sind:
Damit sind sie, was die akustischen Bedingungen während der Aufführung und die mögliche "Unzufriedenheit" mit "üblichen" Aufnahmen betrifft, sehr nahe bei den Geigern ... denn auch die Cymbals strahlen stark unterschiedliche Spektren in unterschiedliche Raumrichtungen ab, was zu einem "Glättungseffekt" (klanglich, spektral) durch Raumanteil aus einem Aufführungsraum führt, sei dies bei unverstärktem Schlagzeug oder durch "Miteinfangen" eines gewissen Raumanteils durch Mikrofone.
cornaoalto hat geschrieben:
Zur Sache: Das aufnahmeseitige Dilemma zwischen möglichst viel Details (geringer Mikrofonabstand) und einem möglichst natürlichen Raumeindruck (weiter weg), vor allem bei Klassik ist wohl so wie Du es beschreibst.
Es ist die Kunst des Tonmeisters hier die richtige Balance zu finden.
Dieser muss natürlich den Durchschnittshörer und Besitzer weniger gut auflösender Anlagen im Blick haben.
Ich sehe es weder als Dilemma, noch als "unlösbare" Abwägung: Wenn jedoch der Eindruck entsteht, daß Details bereits im aufnahmeseitigen Raumanteil "ertrinken", dann wäre aufnahmeseitig etwas schiefgelaufen. Bei Amateuraufnahmen ist das sicher häufiger mal der Fall, weil u.a. die Mikrofonierung Kompromissen unterliegen kann, bei professionellen Aufnahmen ist solch ein Eindruck m.E. jedoch seltener.
Bei vielen Aufnahmen speziell auch von kleineren Besetzungen gelingt ein Eindruck, der beiden Aspekten gerecht wird m.E. sehr gut: D.h. sowohl "Detail" als auch "Verschmelzung" und Charakter des Aufführungsraums sind erfahrbar ...
Bei großem Orchester empfinde ich die Unterschiede zwischen Aufnahmen oft als noch größer und die möglichen Abwägungen, die auf einer Aufnahme zu treffen sind, mögen komplexer sein. Aber auch hier gibt es viele Aufnahmen wo die "Detail" und "Raumeindruck" sich nicht im Wege stehen.
Im Gegenteil: "Richtiger" oder einfach nur "glaubhafter" bzw. "zuträglicher" Raumeindruck (aufnahmeseitig) fördert und erleichtert sogar die Wahrnehmung von Detail ... (*)
cornoalto hat geschrieben:
Hier stellt sich für mich die Frage: Versuche ich den Hörraum in allen Frequenzbereichen möglichst gleichmässig auszublenden oder miteinzubeziehen.
Ersteres bewirkt bei mir vor allem beim Hören im Nahfeld die Empfindungen: in den Aufnahmeraum hineinsehen, leicht mitgerissen werden, direkt dabei sein, hohe Emotionalität, aber auch leicht zuviel Intensität.
Bei einer "zuträglichen" LS-Raum Interaktion - hier jetzt
wiedergabeseitig zw. LS und Hörraum - kann man auch mit mittlerer Entfernung zu den LS hören und der Hörraum bleibt "undefiniert", d.h. er konkurriert subjektiv nicht mit dem Raumanteil der Aufnahme selbst und erlegt auch der Wiedergabe keine "Größenbeschränkung auf" ... selbst wenn er nur z.B. <30qm hat.
Dazu müssen allerdings einige Voraussetzungen in der Gestaltung u.a. der frühen Reflexionen aus dem Wiedergaberaum erfüllt sein.
Meine Ausführungen beziehen sich allesamt auf eine "you are there" Herangehensweise. Diese ist auch in üblichen Wohnzimmern durchaus zu realisieren, ohne daß der Hörraum subjektiv in den Vordergrund tritt.
M.E. sind dazu jedoch Bündelungsmaße der LS z.B. um 4.7 dB bereits im Tiefton- und unteren Mittelton äußerst wünschenswert. Ansonsten muß man sich mit "Raumbehandlung" oder "Nahfeldhören" behelfen ...
Es ist nicht selten die wiedergabeseitige Verdeckung durch tiefe und mittlere Frequenzen aus dem Hörraum (Eigenmoden im unteren und mittleren Tiefton, Nachhall im oberen Bass bzw. unteren Mittelton), welche musikalische Details wiedergabeseitig "ertrinken" lässt.
Wenn die Abwägung getroffen werden muss, den Raumanteil "entweder" aus dem Wiedergaberaum "oder" aus dem Aufnahmeraum zu beziehen, dann deutet dies m.E. immer auch auf ein wiedergabeseitiges Problem hin.
Der Wiedergaberaum soll zwar Teil der Wiedergabeanlage sein, nicht jedoch erfahrbarer Teil der Räumlichkeit der jeweils wiederzugebenden Aufnahme(n): Denn deren
aufnahmeseitigen Raumanteil gilt es ja wiederzugeben. Dies selbst dann, wenn der Aufnahmeraum einen eher "trockenen" Eindruck macht (**). Es ist jedoch ein Trugschluss zu glauben, etwa in einem "schalltoten" Wiedergaberaum oder auch nur einem (wirklich?) "reflexionsarmen" Raum hören zu müssen, um genau dies zu erreichen.
Mit Lautsprechern, deren Bündelungsmaß von tiefen zu höheren Frequenzen hin z.B. zwischen 0dB und 15dB schwankt, ist ein "gleichmäßiges Einbinden" des Hörraums - wie Du es oben formulierst - jedoch kaum möglich, es sei denn, man erklärt sich bereit, in diesen Fällen den Hörraum zur "Reparaturwerkstatt des Rundstrahlverhaltens" der LS zu machen.
cornoalto hat geschrieben:
Ist es mittels der digitalen Korrekturmöglichkeiten nicht möglich Unarten von Konushochtönern "günstig" zu beseitigen?
Der Glaube scheint verbreitet, man könne mit DSP-Korrekur selbst einen Durchsagelautsprecher vom Bahnsteig zu "High-End Equipment" machen ...
(ich weiß, das hast Du nicht gemeint, aber zur Verdeutlichung diese Übertreibung meinerseits).
Lass' Dir von mir versichern, daß es nicht so ist: Gerade bei Diskontinuitäten im Rundstrahlverhalten und solchen Artefakten diesbezüglich, die typischerweise durch Partialschwingungen von Membranen herrühren, richtet digitale Lautsprecherkorrektur praktisch nichts aus, was am Ende zu einer nachhaltigen Verbesserung führen würde.
Die Wahrscheinlichkeit, dadurch bestimmte Teilaspekte sogar zu verschlechtern ist sehr hoch, wenn man bestimmte Artefakte tatsächlich versuchte, "im Detail" und "gänzlich" zu korrigieren.
Gerade das Rundstrahlverhalten - auf der Ebene "Bündelungsmaß über der Frequenz" - ist de Facto nicht durch Filter von außen beeinflussbar. Es sei denn, man greift bei einem Mehrwegesystem auf die Ebene der Übernahmefrequenzen und Filtercharakteristiken durch: D.h. man baut dann einen "anderen" Lautsprecher aus den gegebenen Einzeltreibern und ihren jeweiligen Möglichkeiten.
Das Rundstrahlverhalten ist jedoch eine der klanglich "bestimmendsten" Eigenschaften von Lautsprechern in Hörräumen. Dabei sind (wirklich ...) "reflexionsame" Räume (insbesondere auch bei tiefen Frequenzen) ausgenommen, aber in denen hören die meisten von uns nicht.
Viele Grüße
Oliver
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(*) Wie klingt z.B. eine "Pizzicato" Passage ohne jeglichen Nachhall aus dem Aufführungsraum ?
M.E. klingt das "etwas ärmlich" und es wird hier auch deutlich, daß der Wiedergaberaum - er ist ein akustischer Kleinraum - keinesfalls selbst Nachhallanteile ersetzen kann, die auf die Aufführungs- bzw. Aufnahmeseite gehören.
Dieses Beispiel soll auch verdeutlichen, da ich es schlicht für falsch halte, Nachhall
aus dem Wiedergaberaum als "Surrogat" einzusetzen oder Aufnahmen daraufhin auszulegen. Mit dieser Auffassung bin ich in guter Gesellschaft und die Praxis geht m.E. nicht ohne Grund mit überwältigender Mehrheit einen anderen Weg.
(**) Ich kann z.B. die "Denon Anechoic" Aufnahmen mit meinen LS in meinem Hörraum anhören und empfinde die "absolute Trockenheit" des Aufnahmeraums. Selbst bei "üblichen" trockenen Aufnahmen sind in der Regel sehr viel mehr Rauminformationen oder "Spuren" vorhanden und das vermittelt dann bereits einen ganz anderen Eindruck.
Bei "Denon Anechoic" geht es für mich so weit, daß ich mich nach einer Weile an das Fehlen von aufnahmeseitigem Raumanteil (Nachhall) soweit gewöhnt habe, daß ich das (nun) deutlich hörbare Nachschwingen der Saiten und Instrumentenkorpora selbst (Mehrzahl von "Korpus", ich musste es sicherheitshalber nachsehen ...) speziell bei gestrichenen Passagen quasi als "Nachhallersatz" wahrnehmen (und sogar "akzeptieren") kann, welches in üblichen Hörsituationen oft vollkommen untergeht.
Das alles funktioniert, obwohl mein Hörraum bei der Nachhallzeit in etwa einen "Durchschnittswert für (deutsche) Wohnzimmer" annähert, allerdings ohne deutlichen Anstieg der Nachhallzeit zum Tiefton hin. Ferner verwende ich LS, welche bereits im Tiefton Bündelungsmaße um knapp 5dB erreichen: Das sind typische Werte für Dipole und Kardioide.
Beim Abhören der Aufnahmen aus dem schalltoten Raum ist oft keinerlei Entfernungsinformation für die virtuellen Schallquellen vorhanden, so daß ich z.B. Blechbläser imaginär "vor der Nase" habe oder auch mal "willkürlich wegschieben" kann. Das Schließen der Augen hilft mir bei solchen "Hör-Experimenten" ...