Hallo Matthias
Du bist mit Deinen drei Kurven auf dem richtigen Weg, doch müsstet Du ihn bloss noch zu Ende gehen. Wandervorschlag: Nimm "ganz einfach", resp. extrahiere aus allen drei Kurven das Beste raus, d.h. den unteren Frequenzbereich aus der einen, den oberen Frequenzbereich aus der zweiten, und den mittleren Frequenzbereich aus der dritten. Füge dann alles zusammen. Acourate wird Dein getreuer und dienlicher Wandergenosse sein.
Bild 1 - Drei "rohe" Messungen:
So sehen bei mir die drei Kurven eines als Dipol verbauten Seas W22EX001 aus, aus 2cm (Kurve 4, Blau), 20cm (Kurve 5, Grau) und 150cm (Kurve 6, Schwarz) gemessen. Kurve 4 hat wirklich keinen besonderen Dipolcharakter. Kurve 5 ist schon etwas angedeutet dipoloid, aber für eine Dipolentzerrung ebenso unbrauchbar wie Kurve 4. Dafür sind in Kurve 5 die hässlichen Resonanzen der Magnesiummembran besonders gut erfasst. Kurve 6 sieht am ehesten nach Dipol aus, ist aber so ebenfalls unbrauchbar. Dein gutgemeintes FDW (braun) hilft auch nicht besonders weiter. Also denn ... nun weiter denn, nur weiter, mein treuer Wanderstab!
Bild 2 - Erste Etappe - Unterer Frequenzbereich (lambda > D):
Kurve 4 (Blau) aus 2 cm vermessen bildet vor allem das Verhalten des Treibers im Frequenzbereich um fs herum ab. Es ist das Abbild des Schalldrucks, welches sich aus Qt, fs und anderen Parametern des Treibers ergibt, quasi unter "Frischluftbedingungen". Die Kurve geht bei ca. 120Hz in die Horizontale über, sodass ab dieser Grenzfrequenz keine entsprechenden Chassiseinflüsse mehr nachweisbar sind.
Dipoleinflüsse werden wegen der nahen Messung keine erfasst. Dieselbe Kurve bekämen wir, wenn der Treiber ganz ohne Schallwand gemessen würde. Wir können dieser Kurve jedoch ohne weiteres synthetisch eine Dipolcharakteristik aufprägen: Ein Dipol weist gegen tiefe Frequenzen hin terminal einen Abfall von -6dB/Okt auf. Deshalb sei diese Kurve zunächst mit einer Tangente (Acourate: [Generate][Test Signal][Slope Signal]) von -14dB/Okt (Kurve 1 Rot) nach unten hin noch etwas verlängernd aufgehübscht (Acourate: Amplitude Split&Join - Ctrl-Alt-J) und das Ganze mit -6dB/Okt (Kurve 2 Grün) gefaltet (Acourate: F8). Damit erhalten wir in Kurve 6 (Schwarz) für den unteren Frequenzbereich die beinahe exakte Rekonstruktion der Dipolcharakteristik dieses in der Schallwand eingebauten Treibers. Ohne überlagerte Raumeinflüsse.
Bild 3 - Zweite Etappe - Oberer Frequenzbereich (lambda < D):
Kurve 5 (Grau) aus 20cm gemessen bildet vor allem den obersten Übertragungsbereich des Treibers präzise ab. Deshalb sei dieser Bereich etwas geglättet (Acourate: F3). Auch hier könnten wir den nackten Treiber messen, da der Treiber in diesem Frequenzbereich ohnehin richtet und die Dipoleigenschaften deshalb in den Hintergrund treten.
Bild 4 - Dritte Etappe - Dipolspezifischer Mittenbereich (lambda ~= D):
Kurve 2 (Grün) aus 150cm gemessen schliesslich ist die für den Dipol wohl relevanteste. Von dieser Kurve braucht nach den vorhergehenden Schritten nur noch der Frequenzbereich um lambda ~= D (Dimension der Schallwand) +- 2 Oktaven zu interessieren, da die untersten und obersten Frequenzbereiche mit Kurven 4 (Blau) und 5 (Grau) schon präzise zur Verfügung stehen.
Die Messung wurde aus 150cm gemacht, Chassishöhe 85cm über Boden, Mikrofon 85cm über Boden. Die erste beim Mikrofon eintreffende Raumreflexion ist durch den Boden gegeben und trifft aufgrund der Geometrie des Mess-Setups mit einer Verzögerung von ca. 2ms ein. Um die überlagerten Raumeinflüsse auszuschalten, wird deshalb im TD-Fenster der Impuls nach ca. 1.8ms komplett genullt (Acourate: [TD Functions][Silence between Markers]). Übrig bleibt ein raumeinfluss-freier Impuls, welcher durch seine Kürze jedoch keine Information mehr über das Verhalten im unteren Frequenzbereich beinhaltet. Das stört jedoch nicht, da diese Informationen mit der überarbeiteten Kurve aus der Messung aus 2cm vorliegt.
Bild 5 - Von drei Etappen zum ganzen Weg:
Kurve 1 (Rot) stellt die Dipolcharakteristik des gemessenen Treibers in seiner Schallwand dar, nachdem die zuvor synthetisierten, raumeinflusslosen Frequenzabschnitte aneinander gereiht wurden (Acourate: Split&Join - Ctrl-Alt-J). Die Schnittstellen wurden bei 150Hz (Bereich oberhalb der fs/Qt-Einflüsse des Chassis) sowie bei 3200Hz (Bereich der Bündelung) angesetzt.
Das Resultat stellt somit eine nach meinem Ermessen ganz hübsche Annäherung dessen dar, wie es eine Messung in einem schalltoten Raum erbringen würde. Das heisst, dass durch dieses Prozedere sämtliche groben Raumeinflüsse eliminiert werden konnten und zur Chassislinearisierung nun eine brauchbare Inverse davon abgeleitet werden kann.
Wandermüd-zufriedene Grüsse
Simon
PS: Und jetzt zur wohlverdienten Rast und gemäss Herrn Schubert schon wieder in das nächste Wirtshaus ...