angeregt durch diesen Beitrag von Hans-Martin mache ich zum Thema Wellenwiderstand von Kabeln einen neuen Thread auf, weil sonst die Gefahr besteht, Haralds Vorstellungsthread unnötig zu beladen.
Das klingt in der Theorie so verblüffend einfach, ist es in der Praxis aber leider nicht. Ich möchte mal an einem Beispiel mit einfachen Messgeräten zeigen, warum nicht:Hans-Martin hat geschrieben:mit einem LCR-Messgerät kann man die Kabelinduktivität (geschlossene Schleife) messen, ebenso die Kabelkapazität (mit offenem Ende). Vereinfacht ergibt sich Z = Wurzel aus (L geteilt durch C).
Ich nehme ein Koaxkabel mit 1m Länge, von dem ich weiß, dass es ziemlich genau 75Ohm Wellenwiderstand hat. Es ist ein Lutzifer mit Cinchsteckern:
Mal schauen, was ich an LCR-Messgeräten in der Werkstatt finde:
Es zeigt schon ohne angeschlossenen Prüfling 13pF an, mit dem Kabel dann 92pF. Also bleiben 79pF für das Kabel. Kurzschlussstecker drauf und auf L umgeschaltet: es zeigt 0,010mH an. Mal rechnen: Das ergibt einen Wellenwiderstand von 355Ohm. Das ist fast Faktor 5 daneben. Nächstes Messgerät, ein uraltes von Voltcraft (Conrad):
Immerhin ist es im Kapazitätsmessbereich auf Null abgleichbar, was ich mache. Es zeigt 88pF für das Kabel an, kann aber gar keine Induktivitäten messen. Dann eine Kuriosität aus China:
Das Ding ist super, es stellt nämlich fest, ob ein R, L, C, Transistor, Diode oder was auch immer drinsteckt und zeigt die Werte an. Kabel mit offenem Ende:
69pF also. Jetzt haben wir bisher drei verschiedene Messgeräte verwendet und drei verschiedene Meinungen zu den Kapazitätswerten erhalten, 69pF, 79pF und 88pF. Das Ende des Kabels kurzgeschlossen ergibt allerdings keinen Induktivitätswert, sondern die Anzeige R=0.00 Ohm. Damit sind wir auch nicht schlauer.
Aber da habe ich doch noch einen Spezialisten für das Thema:
Offenes Kabel dran und abgelesen: 75,7pF. Naja, das liegt innerhalb des bisher Gemessenen und suggeriert durch die Nachkommastelle ein gewisses Vertrauen. Kabel kurzgeschlossen: Anzeige 0,00µH. Manchmal kommt kurz eine Anzeige, mal 16µH, mal 100µH, meistens 0,00. Das heißt: Die Kapazität eines Kabels zu messen ist offensichtlich einfacher als dessen Induktivität. Rechnen wir mal aus, was bei 78pF (ist der Mittelwert aus unseren vier Messungen) die korrekte Induktivität wäre bei 75 Ohm Wellenwiderstand: ca. 0,44µH. Das Kabel selbst verhagelt aber die Wechselspannungsmessung durch die Messgeräte, vermutlich durch die Reflexionen am Ende des Kabels. Aber selbst, wenn man die Induktivität sauber gemessen hätte: Allein die Toleranz bei der Kapazitätsmessung macht die Genauigkeit dieser Methode ziemlich unbrauchbar. Man müsste also schon in sehr hochwertige LCR-Messgeräte investieren, wenn man damit den Wellenwiderstand bestimmen wollte. Oder sehr lange Kabel nehmen, damit die gemessenen Werte entsprechend größer werden.
So einfach wie in der Theorie ist das also nicht in der Praxis.
Schauen wir uns mal die zweite Messmethode an, die im oben genannten Beitrag verlinkt war: Rechteck auf Kabel geben und Reflexion auf Null abgleichen. Dabei werden zwei Dinge verschwiegen: Erstens, dass die verwendete Generator-Oszi-Kombi das Budget mit knapp 5k€ belastet, zweitens, dass das eigentlich nur dann sauber funktioniert, wenn die Kabel eine ordentliche Länge haben, so dass die Reflexion nicht in die eigene Flanke reinhaut und drittens, dass dort überall vom Generator über den Oszieingang bis zum Kabelende 50Ohm-Messkabel verwendet werden. Ist dagegen ein unbekanntes Kabel angeschlossen, gibt es an der Schnittstelle zwischen 50Ohm-Kabel am Oszi und unbekanntem Kabel weitere Reflexionen. Schauen wir uns das mal in einem Versuch an, wieder mit preiswerter Ausrüstung:
Ich nehme einen Rechteckgenerator, den es für unter 350€ gibt, und stelle ihn auf die Werte ein, die im Video angegeben sind, Rechteck mit 1Vpp und 1MHz:
Damit gehe ich über ein RG58-Messkabel mit 50 Ohm auf einen 100MHz-USB-Oszi, mit 410€ ebenfalls sehr günstig:
Nun stelle ich den Versuch nach, hänge aber kein RG58 Messkabel mit 50 Ohm dran wie im Video, sondern ein 2,5m langes Kabel mit 75 Ohm (ein längeres Kabel macht die Sache einfacher). Den Abschlusswiderstand, ein 20Gang-Präzisionstrimmer mit 100 Ohm, stelle ich zunächst auf 50 Ohm ein, um die Fehlanpassung zu sehen:
Das Ergebnis erstaunt auf den ersten Blick. Bei einem zu niedrigen Abschlusswiderstand würde man keinen Überschwinger erwarten, sondern ein stufenweises Ansteigen der Rechteckflanke. Was man statt dessen hauptsächlich sieht, ist die Fehlanpassung vom Messkabel (50 Ohm) auf das Testkabel (75 Ohm). Der nachfolgende kleine Unterschwinger ist dann die Fehlanpassung hinten am Testkabel. Durch die relativ langsame Anstiegszeit des Rechtecks (20ns) und die relativ kurzen Kabel schmilzt das aber alles zusammen. Dann versuche ich, mit dem Poti auf ein optimales Rechtecksignal abzugleichen, wie im Video gezeigt:
Die Messung des abgeglichenen Abschluss-Widerstandes ergibt rund 87 Ohm:
Das ist doch deutlich von den tatsächlichen 75 Ohm entfernt. Ich stelle zum Test den Widerstand auf 75 Ohm:
Das ist kein perfektes Rechtecksignal mehr, sondern zeigt einen deutlichen Überschwinger. Warum? Weil man wieder die Reflexion vom Übergang des Messkabels vom Generator zum Oszi auf das Testkabel sieht.
Diese Messmethode ist also ebenfalls nicht geeignet, um den Wellenwiderstand eines unbekannten Kabels zu bestimmen. Aber woher will ich denn eigentlich wissen, dass das verwendete Testkabel überhaupt 75 Ohm hat und nicht vielleicht doch die 87 Ohm, die bei diesem Versuch rauskamen? Weil ich es gemessen habe. Wie, zeige ich gerne demnächst.
Viele Grüße
Gert