Doctor Gradus ad Parnassum - Gehörtes und Unerhörtes

Klangperlen und künstlerische Leckerbissen
Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

So, nun habe ich nach zwei Jahren wieder angefangen, mein Projekt des historischen Intepretationsvergleichs von Chopins Klaviersonate op. 35 (mit dem Trauermarsch) weiterzuführen - die inzwischen angesammelten Aufnahmen gilt es "abzuarbeiten". Sehr glücklich bin ich, einen Rundfunkmitschnitt von Krystian Zimerman bekommen zu haben - von den Salzburger festspielen 1984. Begonnen habe ich mit 4 Aufnahmen: Zimerman, Buniatishvili, Ushida, Ax.

Eine Vorbemerkung zur neuen Platte von Khatia Buniatishvili. Das haut mich nicht vom Stuhl - vom Pianistentyp her gehört sie zur Kategorie Anna Gourari: Lyrismen, Musik eher aus dem Bauch heraus gespielt. Der direkte Vergleich mit der von Emanuel Ax vorzüglich interpretierten, sehr schwierigen weil komplexen 4. Ballade macht deutlich: Da fehlt ein interpretatorisches Gesamtkonzept, virtuose Effekte hier und lyrische Sensibilität da - an der großen Aufgabe, das Ganze als eine musikalische Einheit darzustellen, ist sie letztlich gescheitert. Das Klavierkonzert habe ich noch nicht gehört.

Meine Kurzbewertungen:

Krystian Zimerman (Salzburg 1984): Die Zweifel angesichts einer missglückten Grave-Einleitung verfliegen schnell: Das ist ganz große Interpretationskunst des damals 28jährigen Zimerman, pianistische Unfehlbarkeit zudem garantiert. Die Dynamik des Flügels wird bis an seine Grenzen ausgeschöpft in ungemein präzise kalkulierten Abstufungen, immer vorbildlich durchdacht und inspiriert zugleich, höchst kultiviert im Anschlag und ungemein perspektivenreich; musikalische Intelligenz und emotionale Einfühlsamkeit, die mit dem Füllhorn ausgeschüttet wird. Es endet mit einem hypervirtuosen Presto-Finale, das einem den Atem verschlägt! Mit einem Wort: Olympisch.
Wertung: 6 Sterne (Referenz)

http://ecx.images-amazon.com/images/I/5 ... AA300_.jpg

Emanuel Ax (RCA 1990): Die Programmgestaltung bei Ax bekommt Sinn: Die B-moll-Sonate wird im Verein mit den 4 Balladen zur Ballade in Sonatenform. In Ax´ immer schlüssig durchdachter, geschlossener Darstellung geht es weniger um die Gegenüberstellung der Charaktere als den überall durchdringenden, kontinuitätsstiftenden dramatischen Impuls. Aufwühlend mit großem emotionalen Engagement gespielt singt, summt und spricht Ax hörbar mit. Eine rundum gelungene Einspielung, die man sich gerne anhört. Wertung: 4 Sterne

http://ecx.images-amazon.com/images/I/5 ... AA300_.jpg

Khatia Buniatishvili (Sony 2012): Nur der Kopfsatz mit vielversprechenden Ansätzen. Das Scherzo zum Überhören – ein musikalischer Totalausfall. Der Trauermarsch Durchschnitt – mit dem lyrischen Intermezzo weiß sie nichts anzufangen. Im Presto-Finale fliegt sie über die Tasten – das ist pianistisch ausgezeichnet. Fazit: Es fehlt die interpretatorische Reife. Virtuosität und Lyrismus allein sind einfach zu wenig, um Chopins komplexem musikalischen Drama gerecht zu werden. Die Aufnahmetechnik ist hervorragend, ein schöner, sinnlich farbiger Klavierton. Wertung: 2-3 Sterne

http://ecx.images-amazon.com/images/I/5 ... AA300_.jpg

Mitsuko Ushida (Denon, Aufnahmedatum nicht eruierbar): Eine Einspielung, dem man besser dem Orkus des Vergessens anheimgibt. Hart, knallig, undifferenziert und überhastet, keine dynamischen Abstufungen. Der Trauermarsch und das Presto-Finale: Mechanisches Klavierspiel, Musik, die abläuft wie ein Uhrwerk. Dazu kommt eine hallige und bisweilen klirrende Aufnahmetechnik. Wertung: 2 Sterne


Beste Grüße
Holger
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Apfelstrudelmampfer
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Beitrag von Apfelstrudelmampfer »

Hallo Holger,

ich glaube, eine Einspielung von Zimerman ist sehr schwer zu finden, ich kann hier (noch) keinen Erfolg diesbezüglich verbuchen. Oder hast Du einen Tipp, wo man alle 4 Sätze finden kann?

1.Grave; Doppio movimento
2.Scherzo
3.Marche funèbre: Lento
4.Finale: Presto

Gruß und Dank für Deine Einschätzungen,

Remo
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Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Apfelstrudelmampfer hat geschrieben:Hallo Holger,

ich glaube, eine Einspielung von Zimerman ist sehr schwer zu finden, ich kann hier (noch) keinen Erfolg diesbezüglich verbuchen. Oder hast Du einen Tipp, wo man alle 4 Sätze finden kann?

1.Grave; Doppio movimento
2.Scherzo
3.Marche funèbre: Lento
4.Finale: Presto

Gruß und Dank für Deine Einschätzungen,
Hallo Remo,

die ist leider nie veröffentlicht worden! Und bei youtube hat der Gebühreneinzugsdrache GEMA die beiden letzten Sätze gesperrt. Ich bin da zum Glück über eine private Quelle drangekomen! :D

Beste Grüße
Holger
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Funky
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Beitrag von Funky »

Hallo Holger,

1829 schon beklagte sich Chopin, "es ist die allgemeine Ansicht, ich hätte zu leise gespielt .. da die hiesigen (damaligen) Künstler gewohnt sind auf das Klavier einzuhauen"

Tja, mit auffahrendem Gehämmer ist Chopin nicht beizukommen, und lyrische Gefühlsduselei hat da auch nichts zu suchen, vor allem - b- Moll Sonate betreffend, wenn tonales Niemandsland erreicht wird.

Bei mir läuft Chopin via Rubinstein, RCA und komme ganz gut klar damit. Irgendwie schafft er es, das man aus dem Hören eines Stückes mehr erfährt über Chopin als eben nur dieses eine Stück.

Die 12 Etüden sind imho von Pollini auch gut getroffen.
Just my 2 cents.

Btw. ich drucke deine Rezenssionen alles aus, falls je dieser Server abschmieren sollte, habe ich die wertvolle Lektüre gerettet.

Rainer (funky)
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Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Funky hat geschrieben:1829 schon beklagte sich Chopin, "es ist die allgemeine Ansicht, ich hätte zu leise gespielt .. da die hiesigen (damaligen) Künstler gewohnt sind auf das Klavier einzuhauen"

Tja, mit auffahrendem Gehämmer ist Chopin nicht beizukommen, und lyrische Gefühlsduselei hat da auch nichts zu suchen, vor allem - b- Moll Sonate betreffend, wenn tonales Niemandsland erreicht wird.

Bei mir läuft Chopin via Rubinstein, RCA und komme ganz gut klar damit. Irgendwie schafft er es, das man aus dem Hören eines Stückes mehr erfährt über Chopin als eben nur dieses eine Stück.

Die 12 Etüden sind imho von Pollini auch gut getroffen.
Just my 2 cents.

Btw. ich drucke deine Rezenssionen alles aus, falls je dieser Server abschmieren sollte, habe ich die wertvolle Lektüre gerettet.

Rainer (funky)
Hallo Rainer,

das freut mich! :D Diese Äußerung von Chopin hat natürlich die Rezeptionsgeschichte beeinflußt. Rubinstein wurde deshalb zunächst als Chopin-Interpret gar nicht anerkannt wegen seiner männlich-kraftvollen Spielweise. Am Anfang seiner Karriere hießt es (für uns heute kaum noch vorstellbar, aber so war es!): De Falla oder Debussy, das kann er, aber nicht Chopin! Erst später hat er sich genau damit durchgesetzt! Hast Du auch sein umwerfendes Moskauer Konzert? Er war ja im Konzert ein ganz anderer Mensch als im Studio! Unten gebe ich gleich mal die Gesamtaufstellung - das habe ich doch lgatt verpaßt!

Beste Grüße
Holger
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Dr. Holger Kaletha
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Chopin op. 35 – Hist. Interpr.vergleich: Übersicht

Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Ich muss zugeben, dass es mir widerstrebt, wie bei Kritikern beliebt für musikalische Interpretationen so etwas wie Schulnoten zu verteilen. Dahinter steckt nicht nur der hilflose Versuch, Qualitatives zu quantifizieren. Das Erteilen von Noten verschleiert zudem die hochkomplexe Wertung mit an sich heterogenen, unvergleichlichen Kriterien, die in ein solches Urteil eingehen. Letztlich sind Wertungen aber doch irgendwie unerlässlich, um eine gewisse Orientierung zu geben. Die folgende Werteskala spiegelt unvermeidlich die Zweideutigkeit, dass einmal die Qualität Grundlage der Bewertung ist, aber auch die Bedeutung einer Interpretation im absoluten wie interpretationsgeschichtlichen Sinne. So darf man keineswegs annehmen, dass eine Aufnahme, die 4 Sterne erhält, grundsätzlich irgendwie „schlechter“ sein müsse als eine andere mit 5 oder 6 Sternen. Der Unterschied liegt hier im wesentlichen in der Bedeutung eines Vorbildes für die heutige Zeit im Sinne von Maßstäben, die wir infolge der fortgeschrittenen Interpretationsgeschichte erheben und welche die betreffende Aufnahme exemplarisch und wegweisend verkörpert sowie meiner persönlichen Wertschätzung, die ich hier natürlich nicht in jedem einzelnen Fall begründen kann. Immerhin habe ich 10 persönliche Referenzen und 9 maßstabsetzende Aufnahmen ausgewählt, was zeigt, dass ich durchaus nicht irgendwie dogmatisch festgelegt bin auf eine bestimmte Weltsicht in Sachen Chopin-Interpretation. Auch heißt das natürlich nicht, dass ich auf die anderen herausragenden Aufnahmen verzichten wollte oder könnte! Nein, als leidenschaftlicher Liebhaber des Klavierspiels bin ich regelrecht „süchtig“ nach ihnen allen! Es ist doch beglückend, dass es so viele musikalische Edelsteine zu entdecken gibt! Beispiel für das gewisse Wertungsdilemma: Cortots 4 Sterne. Man kann diesen Stil nicht nachahmen – insofern bleiben seine Aufnahmen historisch – was aber keineswegs bedeutet, dass sich nicht jeder ernsthafte Musiker mit ihm auseinandersetzen und auch der Musikliebhaber an dieser ungemein tiefschürfenden, existenzialistischen Deutung einfach vorbeigehen sollte. Drei der historischen Aufnahmen entziehen sich schlicht der Bewertung durch Noten – jeder Vergleich wäre hier unpassend. Auch die Aufnahmen auf historischen Instrumenten (Olejniczak, Stern) entziehen sich in vielerlei Hinsicht dem Vergleich mit dem, was ein moderner Konzertflügel erlaubt, nutzen aber die Möglichkeiten des Instruments exemplarisch mit einer zudem hervorragenden Interpretation, weswegen ich sie in die 5 Sterne-Kategorie eingeordnet habe.

Bewertungskriterien:

6 Sterne: Meine persönlichen Referenzen
5 Sterne: Bis heute maßstabsetzende Aufnahmen mit Vorbildcharakter
4 Sterne: Herausragende Interpretationen bleibender Gültigkeit
3-4 Sterne: Sehr gut
3 Sterne: Gut
2-3 Sterne: Akzeptabel – mit mehr oder weniger deutlichen Schwächen
2 Sterne: Mäßig
1 Stern: Sehr mäßig

Die Einteilung habe ich inzwischen geändert – die Rubrik Frauen als Interpreten eliminiert.

I. Historische Aufnahmen I: Hofmann, Paderewski, Friedman, de Greef, Grainger
II. Historische Aufnahmen II: Godowsky, Rachmaninow, Brailowsky, Cortot (3)
III. Die Deutschen: Kempff und Backhaus
IV. Poeten und Virtuosen I: Horowitz (2), Cziffra (3), Sherkassky
V. Artur Rubinstein (4)
VI. Arturo Benedetti Michelangeli (ABM) (7) (mit der Filmaufnahme der RAI)
VII. Emil Gilels (6)
VIII. Die polnische Schule: Askenase, Harasiewitz, Olejniczak (2), Zimerman
IX. Chopin modern: Weissenberg (2), Argerich, Anda
X. Die neue Sachlichkeit: Barenboim, Vasary, Pollini (3), Ashkenazy
XI. Chopin angelsächsisch: Katchen, Kapell, Perahia, Katin, Shelley, Ohlsson, Fialkowska, Ax
XII. Bulva, Moravec, Andsnes, Stern, Ushida
XIII. Poeten und Virtuosen II: Janis, Freire, Hamelin
XIV. Exzentriker und Individualisten: Francois, Pogorelich (2), Katsaris
XV. Die russische Schule: Neuhaus, Flier, Ginsburg, Berman, Gawrilow, Sokolov, Pletnev, Kissin, Kern
XVI. Die französische Schule: Nat, Perlemuter, Ousset, Biret, El Bacha, Grimaux
XVII. Die Youngstars: Lazić, Tokarev, Trpceski, Y. Wang, Buniatishvili


Ergänzungen: Neu am 23.10.2012: Zimerman, Buniatishvili, Ushida, Ax

Aufschlüsselung nach Wertung (eingegangen sind 88 Aufnahmen, einige unbearbeitete kommen noch hinzu):

6 Sterne(10 mal), 5 Sterne (9 mal), 4 Sterne (10 mal), 3-4 Sterne (9 mal), 3 Sterne (6 mal), 2-3 Sterne (10 mal), 2 Sterne (12 mal), 1 Stern (2 mal)

Wie man sieht – die vielen Sterne haben das Übergewicht! Die Wertung fällt insgesamt sehr positiv aus.

6 Sterne: Meine persönlichen Referenzen

Horowitz (CBS 1962), Cziffra (EMI 1977), Rubinstein, Benedetti Michelangeli, Gilels, Anda, Pogorelich (Warschau 1980), Flier, Berman, Zimerman

5 Sterne: Bis heute maßstabsetzende Aufnahmen mit Vorbildcharakter

Weissenberg, Argerich, Pollini (DGG 1985), Katchen, Perahia, Perlemuter, Kern

Auf historischem Instrument mustergültig interpretiert: Olejniczak, Stern

4 Sterne: Herausragende Interpretationen bleibender Gültigkeit

De Greef, Grainger, Rachmaninow, Brailowsky, Cortot, Horowitz (RCA 1950), Cziffra (1963), Sherkassky, Askenase, Francois,

3-4 Sterne: Sehr gut

Godowsky, Kempff, Backhaus, Pollini (DGG 2007), Janis, Pogorelich (DGG 1981), Neuhaus, Kissin, Ax

3 Sterne: Gut

Barenboim, Fialkowska, Moravec, Hamelin, Biret, El Bacha

2-3 Sterne: Akzeptabel – mit mehr oder weniger deutlichen Schwächen

Harasiewicz, Vasary, Ashkenazy, Ohlsson, Freire, Katsaris, Ginsburg, Ousset, Wang, Butiatishvili

2 Sterne: Mäßig

Kapell, Shelley, Andsnes, Gawrilow, Sokolov, Pletnev, Nat, Grimaux, Lazić, Tokarev, Trpceski, Ushida

1 Stern: Sehr mäßig

Katin, Bulva

Ohne Wertung: Hofmann (Rollenaufnahme), Paderewski (nur Trauermarsch), Friedman (nur Trauermarsch u. Presto-Finale)

Auf Wunsch und Nachfrage kann ich zu den einzelnen Interrpeten/Interpretationen eine Kurzbewertung geben!

Beste Grüße
Holger
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Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

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Manche Aufnahmen rücken die Maßstäbe zurecht. Viele der jungen aufstrebenden Pianistensternchen von heute glauben ernsthaft, sich ausgerechnet mit Chopins monumentaler b-moll Sonate profilieren zu können. Die Tokaravs, Trpceskis, Wangs und Buniatishvilis heimsen dafür manchmal sogar Preise ein. Das immer wieder enttäuschende Ergebnis ist eine Mischung aus Routine, (klavier-)wettbewerblichem Sport und Lyrismen ohne dramatischen Tiefgang. Da kommt man nicht umhin altklug festzustellen: Solch jugendlicher Unbedarftheit fehlt einfach die nötige Reife. Beim damals nur 18jährigen Maurizio Pollini ist das völlig anders: Da tritt ein „fertiger“ Musiker auf – eine wahrlich kaum glaubliche (Früh-)Reife. Es zeigt sich eine staunenswert souveräne interpretatorische und pianistische Gestaltung, der man in jeder Hinsicht „Überlegenheit“ bescheinigen kann. Und das alles im Stress der Wettbewerbssituation! An dieser Aufnahme in ihrer Geschlossenheit – wofür das Wort „Vollendung“ nicht zu schade ist – gibt es einfach nichts zu bekriteln. Das wäre schlicht beckmesserisch. Maßstabsetzend darf man sie nennen, weil sie in exemplarischer Weise einen neuen Interpretationsstil für Chopin etabliert – die „Neue Sachlichkeit“ – in einer wahrlich überzeugend-einnehmenden Weise, nämlich ohne jemals fade zu wirken.

Fazit: Da kann man vor dem jungen Meisterpianisten auch nach so vielen Jahren nur den Hut ziehen! Was man hier beglückend verspürt ist den kairos des Einmalig-Unwiederbringlichen, des ersten ganz großen „Wurfs“ – den die späteren Aufnahmen trotz all ihrer unbestreitbaren Vorzüge dann doch nicht mehr besitzen.

Deswegen nehme ich diese Aufnahme auch gern in meine Referenzen auf! Wertung: 6 Sterne (Referenz)

Beste Grüße
Holger
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Funky
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Beitrag von Funky »

Hallo Holger,

Alexis Weissenberg - chopin complete Works - Angel Records - sehr schwierig zu bekommen in einem guten Zustand - aber wie Du schreibst - absolut lohneswert - die Aufnahmequalität ist überragend - in Transparenz und Feinfühligkeit.

Hier noch etwas archaisches - Pollini mit 19 Jahren - ebenfalls eine denkwürdige LP (wenn auch leicht muffig riechend, so doch die Interpretation und der Klang herausragend

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Irgendwie hoert man noch viel gerner seine Platten wenn ein Kenner die eigenen Vorstellungen stützt (und natuerlich anders herum, wenn dem nicht so ist :-))

Viele Gruesse

Rainer (funky)
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Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Hallo Rainer,

das Cover mit dem Foto des ganz jungen Pollini ist ja allein schon wirklich toll! :D Diese frühen Aufnahmen von Pollini sind einfach umwerfend - auch die Etüden, die muß man einfach haben!

Von diesem Label habe ich noch gar nichts gehört: Sind das etwa nicht die Weissenberg-Aufnahmen bei EMI bzw. RCA? Von der Sonate op. 35 habe ich zwei Wiessenberg-Aufnahmen, EMI und RCA, kurz hintereinander gemacht. Die RCA-Aufnahme ist klanglich deutlich besser als die sehr harte und trockene bei EMI, war in der EMI (!)-Box "Les introuvables de Alexis Weissenberg". Aus der Icon-Serie gibt es inzwischen ja auch eine Weissenberg-Box. Sehr empfehlenswert ist zudem die Weissenberg-DVD die es gibt, mit Chopin, Brahms, Scriabin. Rachmaninow, Bach und dem Film über Strawinskys "Petrouschka", kostet nur 16 Euro:

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Beste Grüße
Holger
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Funky
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Beitrag von Funky »

Hallo Holger,

Angel Records ist seit 1953 der amerikanische Ableger der EMI, hauptsächlich auf Klassik fokussiert. Insofern basiert meine Einspielung von Weissenberg auf den EMI Aufnahmen. (interessanterweise klingt die amerikanische Pressung längst nicht so spitz wie die deutsche EMI Ausgabe - wäre jetzt natuerlich interessant die Original englische EMI Pressungl dagegen zu hören).

Aber lassen wir die Pressqualitäten / Abmischungen mal beiseite, das ist auch etwas Geschmacksache je nach Anlage. Im Gegensatz zu Rubinstein, kommt Weissenberg irgendwie intellektueller daher, Rubinstein geht ganz in Chopin auf, Weissenberg lässt meines Erachtens mehr Distanz - sozusagen den Blick von Oben aufs das Werk zu. Beide für mich auf Ihre Weise sehr hörenswert.

Und wie schon gesagt, wenn der Profi einem dann erklärt, warum das so ist, (ich selbst kann gerade mal Noten lesen, mit kompletten Partituren tue ich mich schon schwer) und man merkt - ja genau, deshalb , nur in eigene Worte hätte ich das nie so fassen koennen. - Mir fehlt einfach der musiktheoretische Hintergrund. Leider hatte ich bis auf Gitarrenunterricht für 18 Monate, nie wirklich ein Instrument gelernt. Aber sei es drum. Eine gute Interpretation erschliesst sich mir durchaus und Banales wird bei mir gleich aussortiert.

Somit ist deine Einschätzung / Wertung für mich besonders wertvoll, da sehr häufig Deckungsgleichheit herrscht in dem was Du berichtest. Und wenn Du Aufnahmen vorstellst, die ich nicht kenne, dann weis ich nach welchen Interpreten ich suchen kann. Das erspart auch viel Frust und natuerlich Geld, denn da ich meist versuche Vinyl zu erhalten, kann das preislich schon in einer anderen Liga spielen als die CD.

Dir ein schönes Wochenende

Rainer
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Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Funky hat geschrieben: Aber lassen wir die Pressqualitäten / Abmischungen mal beiseite, das ist auch etwas Geschmacksache je nach Anlage. Im Gegensatz zu Rubinstein, kommt Weissenberg irgendwie intellektueller daher, Rubinstein geht ganz in Chopin auf, Weissenberg lässt meines Erachtens mehr Distanz - sozusagen den Blick von Oben aufs das Werk zu. Beide für mich auf Ihre Weise sehr hörenswert.
Hallo Rainer,

sehr treffend beschrieben! :D Die Weissenberg-Aufnahme ist ungemein "integral" und weniger detailversessen, mit einer monumentalen Kraft und Blick für das große Ganze. Er ist ein großer "Architekt" auf dem Klavier, der immer den "Entwurf" im Auge behält. Beim Trauermarsch merkt man, daß er Rubinsteins Aufnahme kennt. Das wußte ich nicht, daß Angel-Records der amerikanische Ableger von EMI ist. Es könnte sein, daß auf Deiner LP sogar die RCA-Aufnahme drauf ist, wegen der Klangeigenschaften, die Du beschreibst. Vielleicht hat EMI die Lizenz erworben von RCA. Beide Aufnahmen sind am selben Ort gemacht, Paris Salla Wagram. Vielleicht schaust Du mal, was als Aufnahmedatum vermerkt ist. Die RCA-Aufnahme: 15.-18. September 1975, EMI: 7.-8. April und 11.-13. Oktober 1976.

Meine Kurzkritik:

Alexis Weissenberg (Aufn. RCA 1975 u. EMI 1976): Chopin rückt heraus aus dem privaten Salon auf die große Weltbühne. Niemand spielt die Sonate mit einer solchen monumentalen Wucht. Kein Chopin für Ästheten, sondern: modern strukturbewusst, mit untrüglichem Sinn für Architekturen aber auch die emotionale Vielschichtigkeit der Musik. Klaviertechnisch kennt Weissenberg keine Grenzen. Die nicht mehr greifbare RCA-Aufnahme klangtechnisch eindeutig besser als die spätere, am selben Ort (Paris) aufgenommene von EMI – Weissenbergs ungeheure Dynamik überfordert hier leider die Tontechniker, so dass das Forte zu einer unschönen Härte neigt. Exemplarisch! Wertung: 5 Sterne

Dir auch ein schönes Wochende - hier ist es ja winterlich kalt geworden! :D

Beste Grüße
Holger
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Truesound
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Beitrag von Truesound »

Funky hat geschrieben:Hallo Holger,

Alexis Weissenberg - chopin complete Works - Angel Records - sehr schwierig zu bekommen in einem guten Zustand - aber wie Du schreibst - absolut lohneswert - die Aufnahmequalität ist überragend - in Transparenz und Feinfühligkeit.

Hier noch etwas archaisches - Pollini mit 19 Jahren - ebenfalls eine denkwürdige LP (wenn auch leicht muffig riechend, so doch die Interpretation und der Klang herausragend

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Irgendwie hoert man noch viel gerner seine Platten wenn ein Kenner die eigenen Vorstellungen stützt (und natuerlich anders herum, wenn dem nicht so ist :-))

Viele Gruesse



Rainer (funky)

Hallo Rainer, hallo Holger!

Wenn mich nicht alles täuscht müsste gezeigte Aufnahme die du dort abgebildet hast ca. 1959/60 gemacht worden sein....auch von der tonmeisterlichen Seite ist die Aufnahme sehr gut eingefangen und lässt sich mehr als angenehm hören....und von der rein technischen Seite kann man auch hören das dort schon die von Peter Burkowitz entwickelte Audiotechnik eingesetzt wurde.....

Grüße Truesound
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Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Truesound hat geschrieben: Wenn mich nicht alles täuscht müsste gezeigte Aufnahme die du dort abgebildet hast ca. 1959/60 gemacht worden sein....auch von der tonmeisterlichen Seite ist die Aufnahme sehr gut eingefangen und lässt sich mehr als angenehm hören....und von der rein technischen Seite kann man auch hören das dort schon die von Peter Burkowitz entwickelte Audiotechnik eingesetzt wurde.....

Grüße Truesound
Hallo Truesound,

die Aufnahme ist klanglich hervorragend, finde ich auch :) , und wohl von 1960 - auf jeden Fall gemacht, nachdem Pollini den Chopin-Wettbewerb gewann, und das war im April 1960.

Beste Grüße
Holger
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Funky
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Beitrag von Funky »

Hallo Holger und Truesound,

jetzt habe ich mich mal auf die Suche gemacht und folgenden Link zur dieser LP gefunden (genau: EMI ADS 370). Da bestätigen sich Eure Angaben zur Aufnahme. Auf der LP selbst ist nur recording year 1960 zu finden

http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=& ... F3W8vXE-RA

Es gibt in der Schweiz wohl auch einen AAA (analog association ) Ableger. Und die haben eine Neuauflage dieser Einspielung initiiert. Ich kannte die Schweizer Jungs bisher nicht. Deren Besprechungen lesen sich ebenfalls sehr interessant. Und das versöhnliche: Deren Besprechungen sind ja unabhängig von Träger insofern ist der Link sicher fuer alle Forenten interessant. Möchte ja nicht, dass wir hier eine Diskussion um die Trägerplattform starten.

Hoffe, gute Sonntagslektüre geliefert zu haben.

Rainer (funky)
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Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Funky hat geschrieben:jetzt habe ich mich mal auf die Suche gemacht und folgenden Link zur dieser LP gefunden (genau: EMI ADS 370). Da bestätigen sich Eure Angaben zur Aufnahme. Auf der LP selbst ist nur recording year 1960 zu finden

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Es gibt in der Schweiz wohl auch einen AAA (analog association ) Ableger. Und die haben eine Neuauflage dieser Einspielung initiiert. Ich kannte die Schweizer Jungs bisher nicht. Deren Besprechungen lesen sich ebenfalls sehr interessant. Und das versöhnliche: Deren Besprechungen sind ja unabhängig von Träger insofern ist der Link sicher fuer alle Forenten interessant. Möchte ja nicht, dass wir hier eine Diskussion um die Trägerplattform starten.

Hoffe, gute Sonntagslektüre geliefert zu haben.
Hallo Rainer,

Dankeschön für den Link! :D Die EMI hat einfach in dieser Zeit wunderbare Aufnahmen gemacht! Unfaßbar, daß sie den Exklusivvertrag mit Pollini gekündigt haben, sie meinten, aus ihm wird nichts mehr - steht im Begleitheft zur CD der Chopin-Etüden - Aufnahme auch von 1960 und ein "Muß" für jede Sammlung. Da hat sich dann die DGG gefreut. Ein krasses, fast schon grotesk-komisches Beispiel für eine unternehmerische Fehlentscheidung.

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Beste Grüße
Holger
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