Franz Liszt hat 200ten Geburtstag

Klangperlen und künstlerische Leckerbissen
Bernd Peter
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Beitrag von Bernd Peter »

Hallo Holger,

Bülow war ein Mißverständnis, Wagner der Vaterersatz, Liszt danach abgeschrieben.

Vater und Mutter Personen des öffentlichen Lebens, Bezugsperson neben den Erzieherinnen allein die Mutter Liszts.

Cosima war im wahrsten Sinne des Wortes knallhart, man denke an die Vaterschaftsverleugnung der beiden gemeinsamen Töchter mit Wagner.

Ich kann es trotzdem nachvollziehen, warum sie so geworden ist.

Gruß

Bernd Peter
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Dr. Holger Kaletha
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Liszt und Senancour

Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Ich habe versprochen, noch einen Nachtrag zu machen zu dem „literarischen“ Stück in Liszts „Années... im ersten Band „Suisse“, den umfangreichen, zweiseitigen Auszug aus Sénancours Briefroman „Oberman“. Das Versprechen löse ich hiermit ein! :D Der Titel ist „De l´expression romantique et du ranz-des-vaches“ (Über den Ausdruck des Romantischen und den Kühreihen“) und platziert zwischen Stück Nr. 7 („Eglogue“) und Nr. 8 („Le mal du pays“).

Der Kühreihen ist ein Schweizer Hirtenlied (Küher ist auf Schweizerdeutsch der Kuhhirte) mit großer Bedeutung für die nationale Identität. Nachlesen darüber kann man etwa hier:

http://www.swissinfo.ch/ger/Ranz_des_va ... id=7687958

Der Text ist wirklich wunderbar – es gibt wohl kaum ein schöneres literarisches Beispiel für eine wahrlich grandiose Naturschilderung der Alpenlandschaft, deren Ausgangspunkt Rousseaus Kultur- und Gesellschaftskritik ist, der Versuch, die „Natur“ wiederzufinden, weswegen der Text durchsetzt ist mit einer Reflexion über die romantische Empfindung in der Einsamkeit der Natur, welche die Gesellschaft vergessen hat, die Rolle von Sehen und Gehör und letztlich über die Musik. Sénancour geht hier im übrigen kritisch ein auf Rousseaus Artikel über den „Ranz-des-vaches“ in seinem berühmten Dictionaire de la musique.

Der Bezug zur „klingenden“ Musik wird klar letztlich vom Schluss des Textes her, einer Anmerkung, wo Sénancour den Liedtext einer solchen Egloge, wie ihn das Schweizer Küherlied darstellt, wiedergibt (ich habe mir die Mühe gemacht, den Text komplett zu übersetzen!):

„Eine von dieser Art komponierter Eglogen, sagt man, aus Appenzel, in deutscher Sprache, endet ungefähr auf diese Art: „Tiefe Abgeschiedenheiten, vergessene Ruhe! O Frieden der Menschen und der Gegenden; ach, Frieden der Täler und der Seen! Unabhängige Hirten, ungebildete Familien, naive Bräuche! Gebt unseren Herzen die Ruhe der Sennhütten und die Entsagung unter dem strengen Himmel. Ungezähmte Berge! Kalter Zufluchtsort! Letzter Rastplatz einer freien und einfachen Seele!““

Liszts „Eglogue“ sucht also nach einem solchen „Asyl“ (Zufluchtsort) der Seele, nach den Verwirrungen der Skepsis und des Nihilismus in „Valée d`Oberman", wo die geplagte Seele endlich Ruhe findet. Und die Therapie heißt: Entsagung – sich mit dem Einfachen, den elementaren Bedürfnissen, zufrieden geben und darüber den Weltschmerz vergessen.

Nun stellt sich aber die Frage: Warum hat Liszt denn diesen Text nicht seiner „Eglogue“ vorangestellt, sondern ihn nachfolgen lassen? Auch darauf gibt es bei Sénancour eine Antwort. Sénancour schreibt nämlich – in seiner Diskussion von Rousseaus Artikel – dem Kühreihen die Fähigkeit zu, ein solches ursprüngliches Naturerlebnis wachzurufen, wieder zum Leben zu erwecken und kritisiert Rousseau, wenn er das bestreitet. Immer dann, wenn wir ein solches Hirtenlied hören, versetzt uns das quasi zurück in eine solche erhabene Alpenlandschaft und alle Bilder und Empfindungen dieses Naturerlebnisses kehren auf diese Weise in unserer Erinnerung zurück. Liszt vollzieht also damit, dass er Sénancours Beschreibung der Alpenlandschaft auf seine „Eglogue“ folgen lässt, diese assoziative Wirkung nach, welche auch er offenbar der Egloge zuschreibt, die bei ihm freilich eine zusätzliche Reflexionsebene bekommt: Die Egloge erinnert Liszt nicht nur an die Alpenlandschaft, sondern an seine Lektüre von Sénancours Darstellung eben dieser Landschaft. Das zeigt eine „Literarisierung“ des Erlebnisses, die literarische Verarbeitung, die Reflexionen über Natur und Kunst, über die Rolle der Musik überhaupt werden in das Naturerlebnis mit eingeflochten. Letztlich ist es gerade die Einheit von Naturerlebnis, literarischem Zeugnis sowie der erklingenden Musik, welche der Musik ihre „existenzielle“ Dimension gibt, wo es nicht nur um den bloßen Hörgenuss, sondern um die Selbstfindung des Subjektes geht: Romantische Kunst als Lebensweise.

Beste Grüße
Holger
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Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Nachtrag zum Nachtrag:

Sénancour schreibt über den Kühreihen, dass er nicht nur Erinnerungen weckt, sondern „Kummer bereitet“ (il peint). Rousseau bezieht sich in seinem Artikel u.a. darauf, dass der Kühreihen beim Militär verboten ist bei Androhung der Todesstrafe, ihn zu singen, eben wegen dieser kummervollen Wirkung, welche die Soldaten entmutigt und zum Desertieren antreibt. Dazu:

http://de.wikipedia.org/wiki/Kuhreihen

Der Arzt Johannes Hofer (s.o.! den Artikel) in seiner Beschreibung der Schweizerkrankheit von 1688 diagnostiziert bereits diesen Effekt des Kühreihens und Johann Scheuchzer äußert sich 1718, dass der „Ranz-des-vaches“ bei den Soldaten la maladie du Pais hervorruft, also „Heimweh“.

Von daher wird nun klar, warum Liszt auf das Stück Nr. 7 „Eglogue“, den darauf folgenden großen Text-Auszug aus „Oberman“ dann schließlich als Nr. 8 „Le mal du pays“ folgen lässt! Die Egloge, das Schweizer Melkerlied und das Heimweh – eine eindeutige Assoziationskette! :D

Beste Grüße
Holger
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Zeno Cosini
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Beitrag von Zeno Cosini »

An alle Liszt-Interessierten!

Ich bin heute Morgen bei der Frühstückslektüre auf einen sehr instruktiven Artikel von Alfred Brendel zu Liszts 200. Geburtstag gestoßen, und zwar in der Wochenendbeilage der FAZ "Bilder und Zeiten" mit dem Titel: "Wer Liszt spielen will, muss Skrupel haben".

Axel
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Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Zeno Cosini hat geschrieben:An alle Liszt-Interessierten!

Ich bin heute Morgen bei der Frühstückslektüre auf einen sehr instruktiven Artikel von Alfred Brendel zu Liszts 200. Geburtstag gestoßen, und zwar in der Wochenendbeilage der FAZ "Bilder und Zeiten" mit dem Titel: "Wer Liszt spielen will, muss Skrupel haben".
Hallo Axel,

die Beilage hätte ich auch gerne! :D

Gerade entdeckt: Lazar Berman spielt die h-moll-Sonate, Video Konzert Bonn 1977 (4 Teile youtube). Sagenhaft! Eine verblüffende Klarheit und Souveränität und zugleich Ausdrucksstärke ohne Übertreibungen - alle Berman Qualitäten vereinigt!

http://www.youtube.com/watch?v=nANu6Swor4Y

Beste Grüße
Holger
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Kienberg
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Beitrag von Kienberg »

Hallo Hoger,
Dr. Holger Kaletha hat geschrieben:Gerade entdeckt: Lazar Berman spielt die h-moll-Sonate, Video Konzert Bonn 1977 (4 Teile youtube). Sagenhaft! Eine verblüffende Klarheit und Souveränität und zugleich Ausdrucksstärke ohne Übertreibungen - alle Berman Qualitäten vereinigt!r
besten Dank für diesen link. :cheers:

Habe es gerade runtergeladen, zusammengesetzt und mir sein Spiel mittels Notenbegleitung angehört. Wirklich sagenhaft, er spielt die h-moll-Sonate sehr, sehr schön, hält sich absolut an den Notentext, einzig die ppp-Stellen kommen etwas laut, aber in der Beethovenhalle muss das so sein, sonst hören die "hinteren Reihen" nichts mehr.

Gruss
Sigi
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Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Kienberg hat geschrieben:Habe es gerade runtergeladen, zusammengesetzt und mir sein Spiel mittels Notenbegleitung angehört. Wirklich sagenhaft, er spielt die h-moll-Sonate sehr, sehr schön, hält sich absolut an den Notentext, einzig die ppp-Stellen kommen etwas laut, aber in der Beethovenhalle muss das so sein, sonst hören die "hinteren Reihen" nichts mehr.
Hallo Sigi,

daran wird es liegen - oder der Tonqualität im Internet. Berman kann nämlich wirklich ppp spielen wie kaum jemand - ich habe ihn selbst noch im Konzert erlebt in Köln (Philharmonie). Eine unglaublich feinsinnige Anschlagskultur - dort spielte er u.a. von Liszt den Mephisto-Walzer Nr. 1. Ein Beispiel dafür: Seine letzte Aufnahme von "Les jeux d´eau al la Villa d´Este" aus Italien, da steht im Notentext an einer Stelle "dolcissimo tranquillo" - und das ist wahrlich nicht einfach zu realisieren mit den Tremoli. Keiner haucht das so in die Tasten wie Berman. Da bekommt man eine Gänsehaut! :D

Beste Grüße
Holger
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Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Noch zwei Tips zu Lazar Berman:

Bevor sie vergriffen ist, sollte man sich unbedingt diese Box mit Aufnahmen aus den russischen Archiven (Brilliant-Classics) zulegen:

http://www.amazon.de/Berman-Lazar/dp/B0 ... 409&sr=1-1

Darin enthalten ist von Liszt u.a. eine Aufnahme der h-moll-Sonate von 1955, Annees de Pelerinage, Einzelstücke aus dem 1. Band sowie dem 2., die Dante-Sonate und "Nuages gris" ("Trübe Wolken") eines von Liszts kühnen Spätwerken.

Zu haben ist auch noch ein Konzertmitschnitt aus Montreal von 1990 - da gibt es auch die h-moll-Sonate, Funerailles und die Schumann-Sonate Nr. 1:

http://www.jpc.de/jpcng/classic/detail/ ... um/3721034

Endlich im Preis reduziert die folgende faszinierende DVD seines Konzertes in Tokyo 1988 - mit der Dante-Sonate, Sposalizio, Venezia e Napoli, Isoldes Liebestod und Ave Maria, dazu Schumanns Sonate Nr. 1 und als Zugabe ein Rachmaninow Moment musical. Die sollte man sich nicht entgehen lassen:

http://www.jpc.de/jpcng/classic/detail/ ... um/5904645

P.S.: Völlig unverständlich, daß die DGG es immer noch nicht geschafft hat, Bermans komplette Aufnahmen wieder zu veröffentlichen. Die h-moll-Sonate hat er nämlich auch im Studio aufgenommen. Sehr ärgerlich!

Beste Grüße
Holger
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Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Eine Anekdote, die Lazar Berman erzählt in seinen Erinnerungen unter der Rubrik „Lustige Geschichten“:

„Einmal habe ich mit ein paar Freunden ein Konzert von Emil Gilels besucht. Er spielte wunderbar Liszts Sonate in h-Moll im Kleinen Saal des Konservatoriums in Moskau, doch plötzlich hatte er zwischen dem berühmten Fugato, das die Reprise der Sonate vorbereitet, einen Blackout. Er musste weiterspielen, kam aber durcheinander (ich muss zugeben, dass das eine knifflige Passage ist!), und erst beim dritten Anlauf gelang ihm die Fuge, und er konnte zum nächsten Teil übergehen. Er beendete sein Konzert auf wunderbare Weise, so wie er es begonnen hatte. Nach Ende des Konzertes gingen wir zu ihm, um ihn zu beglückwünschen und ihm zu danken, doch Gilels wusste nur zu gut, dass wir alle seinen Fehler bemerkt hatten. Also ergriff er die Initiative. Als er uns sah, sagte er nur: „Hat euch meine dreifache Fuge gefallen?““

:cheers: - es ist ja bald Karneval!

Beste Grüße
Holger
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Guenni
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Beitrag von Guenni »

möchte unbedingt wie schon erwähnt Kempff mal mit den Annees de Pelerinage und vor allen Dingen die beiden Legenden des heiligen Franziskus vorschicken.

Wie erzählt Joachim Kaiser in seiner Sueddeutsche Rubrik so schön doch von seinem "Landsmann" (Ostpreussen halten sehr zusammen) das er wohl ein Spielbesessener war der garnicht genug vortragen konnte. Selbst nach anstrengensten Konzerten spielte er dann teilweise noch Abends stundenlang Freunden - zu denen wohl die Familie von Herrn Kaiser gehörte vor.
http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/33674
Schön auch wie Kaiser dem Vorurteil begegnet Kempff verfehle hie und da mal eine Taste.
Nett wie er erzählt das dieser Mann irgenwann einfach nicht mehr geübt hat weil er das grotten Langweilig fand. Ihm war immer wichtiger die Gesamtaussage eines Werkes schlüssig darzustellen. (Seine Beethoven Interpretationen zählen für mich zum schönsten was es auf dem übervollen Sektor gibt - vor allem die op. 111)
Wer mal alte Aufnahmen (aus den vor 1940er Jahren) mit ihm hört weiss das dieser Mann brilliant hoch virtuos spielen konnte ohne je eine Note zu vergessen. Später dann in den nach 60er Jahren lehnte er für sich das Üben halt ab (und da passierte dann hie und da mal - aber immer Kompositorisch noch möglich - ein kleines Malheur)
Wer die Legenden sich mal anhört wird quasi vor sich Franziskus über das Wasser laufen sehen. Und wunderschön ohnehin diese Werke weil sie den anderen Liszt zeigen - jenen der teilentrückt - melancholisch nicht oktavendonnernd daher kommt.
Gerade auch die Wanderjahre - wunderbar.

Den anderen Liszt mag ich aber trotzdem auch. Vorallem wenn es von einem Ausnahme-Liszt Spieler daherkommt wie György Cziffra. Wenn man sich überlegt , dass ein solcher Virtuose nach dem Krieg bis tief in die 50er hinein in Bars und Jazzkneipen sein Geld verdienen musst... naja 1955 gewann er dann ja den Liszt Preis und von da an waren Bars nur noch zum Vergnügen da. :lol:
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JOE
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Beitrag von JOE »

Zeno Cosini hat geschrieben:An alle Liszt-Interessierten!

Ich bin heute Morgen bei der Frühstückslektüre auf einen sehr instruktiven Artikel von Alfred Brendel zu Liszts 200. Geburtstag gestoßen, und zwar in der Wochenendbeilage der FAZ "Bilder und Zeiten" mit dem Titel: "Wer Liszt spielen will, muss Skrupel haben".

Axel
Dr. Holger Kaletha hat geschrieben:Hallo Axel,die Beilage hätte ich auch gerne! :D
Hier dann gleich für alle Interessierten der von Axel erwähnte FAZ-Artikel.

Gruß
Joe
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Guenni
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Beitrag von Guenni »

seht ihr den Link zur nächsten Seite des Faz Artikels ?
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JOE
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Beitrag von JOE »

Ich dachte, dass der Artikel da zu Ende ist und der Hinweis auf die nächste Seite ein Fehler. Aber vielleicht kann das der Axel noch mal checken und bestätigen. Ich kann mich ja auch getäuscht haben.

Gruß
Joe
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Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Kaiser ist nun mal Kaiser! :D Die Bewunderung von Kempff teile ich - das ist eine unglaubliche Musikalität, die fehlende Perfektion verzeiht man ihm, nicht erwähnenswert. Im Alter weigerte er sich nach eigenen Angaben, Kraft auszuüben auf dem Klavier, das merkt man. Ich habe z.B. den Mitschnitt von den Salzburger Festspielen von Schumanns Fantasie op. 17. Was für eine Wucht - dagegen finde ich die spätere Studioaufnahme ein bisschen blass.

Der Vergleich mit Clara Haskil hinkt natürlich total, diese Abwertung finde ich fast schon ignorant, und auch nicht frei von etwas peinlicher Deutschtümelei (die großen "deutschen" Pianisten...). C. Haskil war ein Opfer ihrer Zeit, nicht zuletzt des von den Deutschen verbrochenen Nationalsozialismus, eine Jüdin auf der Flucht, die lange Zeit in ihrem Leben noch nicht mal einen eigenen Flügel besaß und kränkelte. Kraft brauchte sie überhaupt nicht zum Spielen, dafür besaß sie eine stupende Fingerfertigkeit. (Klaviertechnisch war sie sicherlich "perfekter" als Kempff!) Bei ihr hat das Klavierspiel eine geistige Dimension, und damit gehört sie zu den ganz Großen. Kempff war einer, der die Bedeutung des Tonträgers früh erkannte und ist nicht zuletzt deshalb noch heute sehr präsent. Wenn der Umfang des Repertoires als maßgebliches Kriterium für die Bedeutung eines Musikers gelten sollte wie Kaiser unterstellt, dann rangierten Benedetti Michelangeli oder Dinu Lipatti in der Werteskala ganz unten und eine ganze Heerschar "mittelmäßiger" Pianisten weit vor ihnen. Zumal man sich leicht vertut, gerade im Falle von Michelangeli: Was er an Repertoire kannte und beherrschte überstieg bei weitem das, was er öffentlich aufführte. Bei Clara Haskil wird das nicht anders gewesen sein. Wenn man sie eingeladen hätte bei Zeiten, ein Brahms-Konzert zu spielen, dann hätte sie das selbstverständlich getan.

Beste Grüße
Holger
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Guenni
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Beitrag von Guenni »

Annie Fischer ist auch so eine Vergessene. Gott sei Dank gibt es doch nun wieder etliche Aufnahmen von Ihr - mit Ihr.
Beachtlich finde ich das die sich gleichermaßen wohlfühlt bei einer Hammerklaviersonate - dann aber eben auch einen wunderbaren Mozart-Ton beherscht.

Lipatti ist ohnehin mit einer meiner Lieblinge, nicht nur bei Bartok (obwohl da natürlich Geza Anda und Fricsay als Konkurrenz sehr stark sind) - Das letzte Klavierkonzert - ich denke da sollten wir mal einen extra Thread aufmachen für. Richter schwärmte immer von dem Schumann und Grieg Konzerten mit Ihm. Die Chopin Walzer - obwohl ich natürlich etliche Andere Interpretationen besitze höre ich meist nur von ihm. Bach und Schubert ... so ist das leider wenn man als Interpret sehr früh verstirbt, gibt es nicht allzuviele Aufnahmen.

Habt ihr von Andor Földes (meist Foldes hier im Westen geschrieben) Liszt Interpretationen ?

PS: hört euch mal die Bagatelle ohne Tonalität an. Bezüglich Vielseitigkeit mal nebenbei erwähnt.
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