nihil.sine.causa hat geschrieben:Mal eine naive Frage (eines Vinyl-Unwissenden): Lässt sich aus dem Signal, das ein Tonabnehmer produziert, diese M/S Information elektrisch direkt ablesen? [Also ohne einen weiteren Übertrager oder eine zusätzliche elektrische Schaltung verwenden zu müssen, um aus L/R wieder M/S zu generieren.]
Hallo Harald
In den Ortofon Stereo-Tonabnehmern sind 4 Generatorspulen, die die Nadel-/Magnetbewegung in elektrisches Signal umsetzen. Sie sind in den 4
Quadranten des Cosinus angeordnet und diagonal verschaltet.
Bei identischem System-Grundkörper und horizontal verschalteten Spulen für Mono-Betrieb ergibt sich eine reine horizontal-orientierte Umsetzung, die vertikale Komponente wird nicht elektrisch umgesetzt, ist aber mechanisch abtastbar - im Gegensatz zu den frühen Mono-Abtastern, deren Nadel diesen Freiheitsgrad der Bewegung nicht hatte. Das führte zu Beschädigungen der Stereo-Schallplattenrille.
Wollte man nun MS-Signale aus den 4 Spulen gewinnen, müsste man die Spulen anders verschalten, wie es beim Decca London
geschah. Von
http://www.soundfountain.com/amb/ortodeccatan.html, da warten noch andere historische Schmankerl.
Die London Version, die ich kenne, hatte nur 3 Anschlüsse, an denen bereits das übliche Stereo L/R ausgegeben wurde. Die laterale Spule liegt auf Masse, das andere Ende geht auf den Mittelpunkt der aufgeteilten Vertikalspule, so ergeben sich L und R an deren Enden.
Aus
http://theartofsound.net/forum/showthre ... ed-1210M5G Beitrag Nr. 8.
Intern für LR verschaltet, gaben die horizontale Spule und vertikale Spule die M (Seitenschrift) und S (Vertikalschrift). Das sehr dynamische Klangbild mit guter Auflösung ist vielleicht eine Folge der direkten Umsetzung der mechanischen Bewegung in elektrische Signale (ohne Verbiegung eines Nadelträgers zwischen Diamant und Magnet), vielleicht aber auch zurückzuführen auf die Cleaner-vergleichbare Umsetzung unmittelbar an der Abtastung.
Nach langem Hörabstand habe ich nur beim Koetsu ähnliche Klangelemente wiedergefunden.
Im Sinne der Fragestellung müsste ein Tonabnehmer ohne Zielgruppe hergestellt werden, das rechnet sich sicherlich für den Hersteller nicht. Ein geeignetes System öffnen und intern umlöten, da fiele mir nur das Decca mit 4 Anschlüssen ein. Dann muss man sich über die Pegelverhältnisse der ursprünglichen MS zu LR Dekodierung der Spulen klar sein, diese nach Umbau ggf. im Entzerrervorverstärker kompensieren oder nach Gechmack einstellen. Das ist nicht einfach, wenn ich an den Stereodecoder des Rotel Analogtuners denke, wo Trimmpotis Manipulation des S-Kanals gegenüber M erlaubten.
Um MS aus einem TA zu bekommen, müsste man 2 Spulen an geeigneter Stelle anbringen, die die Linearität der Bewegung bewahren. Bei Ortofons typischen 4 Spulen könnte man vielleicht einen Weg finden, diese MS-gerecht zu verschalten. Auf die Schnelle ist mir da keine Lösung eingefallen, zumal Anzapfungen zwischen den Spuren nicht vorhanden sind.
Dabei würde ich auch bedenken, dass ein PhonoVV traditionell der empfindlichste Eingang bei Audio ist, der Rauschabstand war schon immer ein Thema.
Wenn man ein L+R Signal hat, ist der Pegel schön hoch, aber wie verhält es sich mit L-R und dem Störabstand?
Es ist bekannt, dass beim Plattenschneiden die Seitenschrift voll ausgeschöpft wird, die Aussteuerung der Tiefenschrift aber limitiert wird. Diese Begrenzung kann eigentlich am elegantesten im S-Kanal erfolgen, also gibt es vermutlich MS-Wandlungen, um das und andere Klangbeeinflussungsmaßnahmen auszuführen.
Dieser Aspekt wurde bisher noch sehr vernachlässigt, speziell bei der Diskussion von FLOW, wo der Aspekt der reduzierten Kanaltrennung auf Übersprechen im Tonabnehmer reduziert wurde. Aber die Reduktion des S-Kanals schon vor dem Schnitt, nicht erst bei der Abtastung, bringt die Dinge auf eine Weise durcheinander, dass die Wirkung des Cleaner vermutlich(!) nicht vergleichbar sein wird mit der aus der Digitaltechnik bekannten Wirkung
Grüße Hans-Martin