Hörbarkeit von Gruppenlaufzeitverzerrungen

Fortepianus
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Beitrag von Fortepianus »

Wow, Uli,

so langsam begreife ich die Darstellung.
uli.brueggemann hat geschrieben:Man kann noch mehr lesen. Typischerweise gibt es in jedem normalen Raum Täler, die sich von Anfang bis Ende der Zeit hinziehen. Da ist praktisch keine GLZ-Korrektur möglich. Grund sind remanente Auslöschunen aufgrund von Raummoden. Und so zeigt sich auch im korrigierten Fall bei einer Frequenz ein Tal das parallel zur Zeitachse läuft.
Zwei sogar, wenn ich das richtig interpretiere.

Diese Darstellung scheint mir sehr aussagekräftig zu sein. Man muss sich ein wenig eindenken, aber dann ist ein Wasserfalldiagramm Kaffeesatzlesen dagegen. Weil nicht nur ein gefilterter Zeitschlitz betrachtet wird. Die prinzipbedingte Verbreiterung des Bergkamms zu tiefen Frequenzen hin - ist das nicht so eine Art "Apparatefunktion", die sich mathematisch rausfalten lassen müsste? Oder mach' ich da ein Denkfehler?

Gruß Gert
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uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

Gert,

das Diagramm ist aussagefähig.

Allerdings lässt sich die Abbildung nicht mathematisch stauchen. Das würde die Zeit ebenfalls verschieben. Und dann wäre das die Lösung für ein kleines Problem welches ich nicht zu lösen weiss:
wie lässt sich ein kausal gegebener Dirac-Puls so in eine bleiebige Anzahl von minimalphasigen und frequenzabhängigen Teilpulsen zerlegen dass die Summe aller Pulse wieder gleich dem Dirac ist?
Kein Problem mit linearphasigen Filtern. Aber minimalphasige Filter?

Übrigens ist das Programm Freeware. :) Man braucht nur die Pulse im dbl-Format...

Uli
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Malte
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Beitrag von Malte »

Hallo Uli,
Wie misst man klassisch die GLZ über der Frequenz am Hörplatz?
Pardon, ich bezog mich auf die graphische Darstellung. Vom Signal her muss man selbstverständlich etwas nehmen, was sich fenstern lässt, denn Freifeldbedingungen unterhalb 100 Hz kann wohl niemand in der Praxis realisieren. Anselm Goertz erwähnte mir gegenüber mal einige Versuche mit Groundplanemessungen auf einem Parkplatz (!), aber ich weiß nicht, ob da was praktikables bei herauskommt.

Deine Darstellung nach Zeit, Frequenz und Amplitude finde ich übrigens durchaus spannend, wenn auch nur bedingt übersichtlich.

zu Klaus:

Ich wäre sehr vorsichtig, wenn es um Wellenformen im Amplitude-Zeit-Diagramm geht. Wir sollten niemals vergessen: Das Gehör funktioniert nicht wie ein linearer Zeitschreiber im Amplitude-nach-Zeit-Bereich, sondern es kommt, grob gesprochen, eher einer Fourier-Transformation nahe und verarbeitet Frequenz nach Zeit. Wenn wir beim Thema Zeitrichtigkeitshören nun auf Wellenformen und Sprungantworten starren und nach groben Änderungen im Verlauf fahnden, missdeuten wir grundsätzlich die Funktion des Gehörs und dürften nicht selten zu völlig falschen Schlüssen kommen.

Bereits ein Allpass 2. oder 3. Ordnung macht aus schönen Wellenformen grafisch undurchdringliches Chaos. Hörbar ist das trotzdem nicht.

Ich habe dafür keine Beweise, aber nach allen Experimenten, die ich zum Thema gemacht habe, würde ich eher eine Anfälligkeit für die Hörbarkeit von Laufzeitsverzerrungen bei Klängen mit einer großen Frequenzspreizung zwischen Grund- und dominanten Oberwellen sowie transientem Charakter fahnden. Will sagen: Wenn die Grundtöne und die für den Klangeindruck hauptsächlich relevanten Oberwellen ein paar Oktaven auseinanderliegen und besonders der Einschwingvorgang in der Hüllkurve relativ plötzlich ist, dann haben wir eine gute Chance, ein Signal zu haben, wo der Mensch relativ sensibel auf GLZ-Verzerrungen reagiert. Das betrifft hohe Blechbläser ebenso wie Schlagwerk a la Triangel, Glockenspiel, Vibraphon, Cowbell, Splash, aber auch kurze, harte Konsonanten wie T, K, P bei der menschlichen Stimme.

Viele Grüße

Malte
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uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

Malte hat geschrieben:1. Anselm Goertz erwähnte mir gegenüber mal einige Versuche mit Groundplanemessungen auf einem Parkplatz (!), aber ich weiß nicht, ob da was praktikables bei herauskommt.

2. Deine Darstellung nach Zeit, Frequenz und Amplitude finde ich übrigens durchaus spannend, wenn auch nur bedingt übersichtlich.

3. Bereits ein Allpass 2. oder 3. Ordnung macht aus schönen Wellenformen grafisch undurchdringliches Chaos. Hörbar ist das trotzdem nicht.
...
eher eine Anfälligkeit für die Hörbarkeit von Laufzeitsverzerrungen ...
Hallo Malte,

1. ich denke das ist im Prinzip nicht neu. Realisierung einer unendlichen Schallwand ohne sonstige Reflektionen inkl. Freifeldmessung durch "Einbuddeln" des Treibers im Fussboden und Messung von oben. Und grosse Plätze findet man sicherlich häufig als Parkplätze.

2. Erst einmal danke für das Lob. :) Bitte bedenke dass ich hier nur Screenshots gezeigt habe. In der Tat lässt sich das Diagramm mit der Maus anklicken und frei drehen (wie eben 3D-CAD Darstellungen). Auch die Farben lassen sich umschalten, es gibt mehrere Paletten. Zoomen etc. geht auch.
Wenn Du ein gelungenes Beispiel für eine "übersichtliche" Darstellung hast versuch ich das auch gerne.

3. Für mich sind Phasenänderungen mono wenig hörbar, sofern nicht übertrieben. Interessant wird es bei unterschiedlichen Phasenänderungen im Fall von Stereo. Jedenfalls wird z.B. die Raumtiefe einer Phantomschallquelle besser wenn die inter-aurale Korrelation bzw. Kohärenz verbessert wird.

Grüsse

Uli
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Fortepianus
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Beitrag von Fortepianus »

Hallo Malte,
Malte hat geschrieben:Ich habe dafür keine Beweise, aber nach allen Experimenten, die ich zum Thema gemacht habe, würde ich eher eine Anfälligkeit für die Hörbarkeit von Laufzeitsverzerrungen bei Klängen mit einer großen Frequenzspreizung zwischen Grund- und dominanten Oberwellen sowie transientem Charakter fahnden. Will sagen: Wenn die Grundtöne und die für den Klangeindruck hauptsächlich relevanten Oberwellen ein paar Oktaven auseinanderliegen und besonders der Einschwingvorgang in der Hüllkurve relativ plötzlich ist, dann haben wir eine gute Chance, ein Signal zu haben, wo der Mensch relativ sensibel auf GLZ-Verzerrungen reagiert. Das betrifft hohe Blechbläser ebenso wie Schlagwerk a la Triangel, Glockenspiel, Vibraphon, Cowbell, Splash, aber auch kurze, harte Konsonanten wie T, K, P bei der menschlichen Stimme.
was Du beschreibst, sind Auswirkungen auf die Tonalität bei solchen Klängen. Danach zu fanden, geht, wie Uli bereits mehrfach geschrieben hat, an der Sache vorbei. Ich habe das ja nun mit zwei grundsätzlich verschieden Anlagen ausprobiert, exakt gleicher Frequenzgang am Hörplatz einmal zeitrichtig, einmal nicht. Direkt umschaltbar. Der Unterschied ist nicht in einer anderen Klangfarbe zu suchen. Er liegt, eine entsprechende Aufnahme vorausgesetzt (das ist entscheidend!), im Raumeindruck. Das ist so auffällig, das hört auch der im Hören Unerfahrene. Es kommt, wie ich ja beschrieben habe, einem Monoschalter für die Blickrichtung beim Stereohören gleich. Aufnahmen, die mit vielen Mikros direkt an den Instrumenten nachträglich die Instrumente von links bis rechts platzieren, klingen mit und ohne FIR-Entzerrung so, wie wenn man eine Schnur von Hochtöner zu Hochtöner spannt und die Instrumente mit Wäscheklammern daranhängt. Beinhaltet eine Aufnahme dagegen die für die Rauminformation wichtigen Phasenbeziehungen, geht ein Raum auf, der erstaunt.

Das erinnert mich nun ein wenig an die Problematik, jemandem zu beschreiben, wie das Essen in der Traube Tonbach geschmeckt oder welchen Nachhall ein Chateau Margeaux hat. Selbst hören erspart viele Worte. Du wohnst doch in Stuttgart! Lass' uns einen Termin finden, komm' vorbei, und ich zeig' Dir den Monoschalter.

Viele Grüße
Gert
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KSTR
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Beitrag von KSTR »

Hallo,

da war noch eine Frage offen (schon geraume Zeit her), ich zitiere mich mal selbst:
KSTR hat geschrieben:... brächte ein Gegentest mit einem "vorsätzlichen" typischen Allpass in der Konfiguration c) einen zu b) vergleichbaren Verfall an Räumlichkeit? Sozusagen ein Test mit der klinischen Version einer tatsächlich reinen Allpass-Verzerrung "über alles", ja Kern vieler Diskussionen?
War zu lakonisch formuliert, gebe ich zu.

Also genauer (wieder Selbstzitat aus einem anderen Forum):
Ich werde Uli und Gert (als kompetenter Nutzer von Acourate mit absolut perfekter Anlage, zu finden in Rudolfs Forum) versuchen zu nötigen, diesen Versuch zu machen: also in einem bereits perfekt entzerrten System der Quelle einen zusätzlichen Allpass-Gang überhelfen (L/R natürlich gleich). Dann wissen wir endlich, ob (moderate!) globale GLZ (GLZ erster Art, wie ich sie nenne) eine Rolle spielt oder nicht. Ich tippe auf nicht, oder hoffe es, denn die Konsequenz falls nicht wäre die, dass grundsätzlich alle Produktionen die mit Allpässen arbeiten (nicht-linearphasige Multiband-Kompressoren á la C4, etc) nicht vor allem die Tiefenstaffelung aufzubauen in der Lage wären, die eigentlich in den Signalen gesteckt hätte, selbst wenn man sie vollständig zeitrichtig entzerrt abhörte (das würde dann einen Großteil des "mittel-alten" Pop/Rock/etc-Bestands betreffen, sofern dieser natürlich etwas an sauber abbildbaren Raumanteilen hat). Das wird sehr interessant.
Beste Grüße, Klaus
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Fortepianus
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Beitrag von Fortepianus »

Hallo Klaus,

ah, jetzt verstehe ich die Frage etwas besser. Ich muss nochmal genauer nachfragen, wie das mit dem Allpass gedacht ist. Ein Allpass ist für mein Verständis ein Filter, das über weite Strecken eine konstante Gruppenlaufzeit hat, die dann bei der Grenzfrequenz auf den Wert 1/Wurzel2 davon abgefallen ist und bei noch höheren Frequenzen dann gegen sehr kleine Werte geht. An welche Grenzfrequenz hattest Du gedacht?

Gruß Gert

P.S. @Uli: Wie macht man so einen Allpass in acourate?
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KSTR
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Beitrag von KSTR »

Hallo Gert,

Ah, hammwer ein Mißverständnis, was nun ein Allpass sei: Ich meine damit alles was glatten Amplituden-FG hat, aber völlig beliebigen FG der Gruppenlaufzeit, nicht nur eine Delayline mit Butterworth-FG der GLZ. Also auch extreme Varianten, z.B. ein "GLZ-Rechteck", z.B.:

DC bis 500Hz, 4kHz bis ... : 0ms
500Hz bis 4kHz : 10ms oder auch -10ms

Praktisch dachte ich an ein GLZ-Verhalten eines mehr oder weniger normalen Mehrweg-LS, sagen wir z.B. einen 3-Weger 500Hz/3kHz mit jeweils LR12- oder LR24-Trennung. Zwecks Realisierung (mein Gedanke): Man baut eine typische minphase-Weiche in Acourate und nimmt deren Summen-Pulsantwort als Kern (und die gaudihalber auch mal rückwärts, dann haben wir einen "überzeitrichtigen" LS :lol:). Müsste ja einfach machbar sein (hab zu meiner Schande mit Uli's SW -- als Demo -- noch nicht ausführlich gespielt). Und diesen Kern mit dem vorhandenen zusammenfalten und alternativ zu diesem verwenden. Oder auch was simpleres, gleichmäßiges. Machen ließe sich letzteres, so denke ich (noch etwas unsicher in diesen Dingen), mit einem sehr(!) kurzen inversen LogSweep (mit der 6dB/oct Amplitudenkorrektur zwecks weißem Spektrum) als Faltungskern (der 60-Sekünder von Uli wäre etwas krass, wenn der Tiefbass erst ne Minute später kommt ;)) Oder ist das Schmarrn bzw. völlig impraktikabel, Uli?

Hintergedanke u.U., falls sich die "absolute Zeitrichtikeit" als doch relevant herausstellt: Verallpasste Aufnahmen (ältere minphase Multiband-Kompressoren beim Mastering, z.B.) könnte man, mit einer Abhörqualität wie deiner, solange im Phasengang wieder empirisch "zurückbiegen", bis sich die maximale Räumlichkeit rausholen lässt.

Und eben die generelle Frage, reicht die Kanalgleichheit am Hörplatz (bei moderater globaler GLZ-Verzerrung, vorausgesetzt), oder muss es komplett zeitrichtig sein? Schlechter wird es dadurch nicht, das ist klar...

Beste Grüße, Klaus
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Fortepianus
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Beitrag von Fortepianus »

Hallo Klaus,
KSTR hat geschrieben:Ah, hammwer ein Mißverständnis, was nun ein Allpass sei: Ich meine damit alles was glatten Amplituden-FG hat, aber völlig beliebigen FG der Gruppenlaufzeit, nicht nur eine Delayline mit Butterworth-FG der GLZ. Also auch extreme Varianten, z.B. ein "GLZ-Rechteck", z.B.:
DC bis 500Hz, 4kHz bis ... : 0ms
500Hz bis 4kHz : 10ms oder auch -10ms
ok. Dieses Experiment hat doch, wie ich mich erinnere, Swen Müller vor 10 Jahren schon in seiner Diss gemacht, die hier schon oft zitiert wurde, nicht nur wegen der auf geteilte Meinungen stoßenden berühmten Fußnote auf Seite 240 :mrgreen: . Er hat auch mit seiner FIR-Kiste "Hugo" erst mal Amplituden- und GLZ-FG gebügelt und dann solche GLZ-Rechtecke künstlich draufgesetzt. Was keiner gemerkt hat. Und das waren nicht irgendwie zufällig beim Waldspaziergang angesprochene Holzohren, sondern Tonmeister und solche, die es werden wollten.

Warum höre ich dann bei mir einen Unterschied? Bestimmt nicht, weil ich ein noch empfindlicheres Goldöhrchen bin als die Probanden. Was allerdings, nebenbei bemerkt, jeder zweite Highender von sich denkt :roll:. Die GLZ-Verzerrung meiner Weiche, auf die sich die GLZ-Verzerrung im Wesentlichen reduzieren lässt bei vollgeregelten Aktivlautsprechern, war ja im Vergleich zu den in der Literatur einem Experiment unterzogenen und nicht bemerkten recht moderat, siehe blaue Kurve im Link, also alles unterhalb von 4ms.

Meine Vermutung ist folgende: Ich wage zu bezweifeln, dass die FIR-Filter bei den gemachten Experimenten die Gruppenlaufzeit von linkem und rechtem Kanal so präzise angeglichen haben, wie das Uli in acourate macht.

Eieiei, jetzt spinnt die Forensoftware wieder, das Problem hatte ich kürzlich schon, sobald ich einen längeren Beitrag verfasse. Bei jedem getippten Buchstaben springt der Scrollbalken ein Stück nach oben, so dass man nicht mehr sieht, was man gerade schreibt. Also neuen Beitrag...
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Fortepianus
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Beitrag von Fortepianus »

...schreiben.

Was mich nämlich stutzig gemacht hat, war folgende Erfahrung: Ich habe mit acourate meine Filter erstellt und fand das Ergebnis schon recht bemerkenswert. Dann habe ich Uli meine Impulsantworten geschickt und er hat, wenn ich ihn richtig verstanden habe, von Hand die Impulsantworten noch ein wenig feinjustiert, so dass sie in den ersten ms bestmögliche Deckungsgleichheit aufweisen. Und das klingt eindeutig nochmal besser.

Wenn also die GLZ-Entzerrung der Anlage vor dem Experiment schon nicht so ist, dass diese bemerkenswerte Raumtiefe bei entsprechenden Aufnahmen hörbar wird, gibt es durch die zusätzlichen "GLZ-Rechtecke" natürlich auch keinen zu bemerkenden Effekt, der wegfallen könnte. Erst, wenn die GLZ extreme Ausmaße annimmt, bei denen tonale Verfärbungen auftreten, also in Bassreflexregionen kommt, wird ein Effekt festgestellt. Dieser Effekt hat aber rein gar nichts damit zu tun, was man durch präzise GLZ-Entzerrung eigentlich erreichen kann - nämlich das Eintauchen in den Aufnahmeraum.
KSTR hat geschrieben:Und eben die generelle Frage, reicht die Kanalgleichheit am Hörplatz (bei moderater globaler GLZ-Verzerrung, vorausgesetzt), oder muss es komplett zeitrichtig sein? Schlechter wird es dadurch nicht, das ist klar...
Ja, genau diese Frage ließe sich durch das von Dir vorgeschlagene Experiment klären. Ich mach' das gerne, wenn Uli mir sagt, wie man das rechnet, oder noch besser, ich schick' ihm meine Filter, und er rechnet irgendwelche GLZ-Verzerrungen drauf, das wäre bestimmt schneller.
KSTR hat geschrieben:Hintergedanke u.U., falls sich die "absolute Zeitrichtikeit" als doch relevant herausstellt: Verallpasste Aufnahmen (ältere minphase Multiband-Kompressoren beim Mastering, z.B.) könnte man, mit einer Abhörqualität wie deiner, solange im Phasengang wieder empirisch "zurückbiegen", bis sich die maximale Räumlichkeit rausholen lässt.
Dazu müsste man aber doch dann die Impulsantwort der Aufnahmeapparatur kennen. Woher?


Viele Grüße
Gert
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KSTR
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Beitrag von KSTR »

Halle Gert,
Fortepianus hat geschrieben:Warum höre ich dann bei mir einen Unterschied? Bestimmt nicht, weil ich ein noch empfindlicheres Goldöhrchen bin als die Probanden.
[...]
Meine Vermutung ist folgende: Ich wage zu bezweifeln, dass die FIR-Filter bei den gemachten Experimenten die Gruppenlaufzeit von linkem und rechtem Kanal so präzise angeglichen haben, wie das Uli in acourate macht.
So wie ich Swen Müller lese, ham sie ja nichts in einem Stereosetup getestet (keine unnötigen Variablen). Was sie möglicherweise bewiesen haben (Seiten 222-225) - durch den Fauxpas mit der Ankerbox: diese auf Linearphasigkeit auf Achse per normaler Mic-Messung entzert, die anderen drei aber auf Linearphasigkeit am Trommelfell) - dass so kleine Phasenfehler, wie eine HRTF sie produziert, sich nicht auswirken, bei "True-Mono". Eben weil sie nicht interchannel, sondern a) global und b) gering sind.

Wegen der eventuell vorteilhaften Rückentzerrung verallpasster Aufnahmen:
Dazu müsste man aber doch dann die Impulsantwort der Aufnahmeapparatur kennen. Woher?
Äh, nein, deswegen schrieb ich empirisch, rantasten bis zur besten Räumlichkeit. Wenn man sie kennt, noch besser. Bei meinen Hobby-Mixes/Remasters mache ich das mittlerweile ganz primitiv so, dass ich das Audio nochmals rückwärts durch das min-phase-Multibandcompressor-Plugin schicke, wobei die Compressorfunktionen im Bypass sind, aber nicht das Bandsplitting. Wirkt sich schon auf die "Tightness" aus, auf die Räumlichkeit nicht, wohl aus den von dir genannten Gründen (meine zwei sehr bescheidenen Anlagen sind mit Sicherheit eine absolute wie interchannel-GLZ-Müllhalde im Vergleich, und nicht nur da).
[...]was man durch präzise GLZ-Entzerrung eigentlich erreichen kann - nämlich das Eintauchen in den Aufnahmeraum.
Eben wegen der Müllanlagen erreiche ich das bei mir mittlerweilen durch eine Art Taschenspieler-Trick, sicherlich wohl nicht in dem Ausmaß den der richtige Weg brächte. Und der Trick hat je nach Aufnahme auch Nachteile, die für meine Gewichtung (an dem, was mir an Stereo wichtig ist) und für meinen Bestand an Musik aber im tolerablen Rahmen bleiben. In drei anderen Foren habe ich das inkl. Testmaterial für Interessierte auch schon vorgestellt (dessen Stand ist aber nicht mehr aktuell), vor allem hier. Du würdest dann auch der Kandidat sein, der die Nebenwirkungen des Tricks am besten wird evalieren können, bzw. vielleicht gibt es ja noch einen positiven Effekt auch bei einem schon perfekten Setup. Ich bin ja kein Authentizitäts-Fanatiker, d.h. alles was eine plausiblere Stereo-Illusion erzeugt, halte ich für legitim (wenn andere Aspekte halt nicht zu sehr leiden). Da kommt also noch was...

Grüße, Klaus
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uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

Hi Klaus, hi Gert,

eine interessante Diskussion, das Thema Räumlichkeit und Allpass.

Ich war am Samstag bei Holger von der Krone, und wir haben mal die K+H O410 gemessen. Die LS gefallen mir ganz gut. Aber vor allem die Kanalgleichheit der Pulse. Trotz dass die Frequenzweiche passiv ist. Der IACC-Wert ist 0.869 in den ersten 20 ms und 0.807 über eine Zeitdauer von 1.4 s! Super LS und auch der Raum ist sauber installiert (Symmetrie, Nachhallzeit etc.). Kein Wunder, dass das System wunderbar räumlich klingt. Einziger Wermutstropfen in meinen Augen ist der zu kleine Raum (oder die O410 sind zu gross), man sitzt zu nah vor den Boxen.

Ok, nun zu den Gedanken von Klaus. Ja, so ein Test ist prinzipiell einfach zu machen. Wobei mir auffällt: wieso hat das noch keiner bekannterweise in der Literatur beschrieben?

Also man bastle sich z.B. eine Drei-Wege-Frequenzweiche mit Acourate. Berechne von den drei Wegen die Minimalphase und addiere die drei Signale. Davon berechnet man dann die Exzessphase. Exzessphase ist simpel ein anderes Wort für Allpass. Der Frequenzgang ist 0 dB über alle Frequenzen, also eine 1:1-Übertragung. Nur die Phasen werden geschoben und die Darstellung der Gruppenlaufzeit zeigt das auch schön. Damit hat man ein Filter mit dem man eine vorhandene wav-Datei behandeln kann. Je nach Geschmack einkanalig oder auch zweikanalig.

Weitere Möglichkeiten sind auch Reversieren des Allpasses (d.h. ziefe Töne zuerst, dann mittlere Töne und hohe Frequenzen zuletzt). Oder auch Rotieren (sample shifting) der einzelnen Weichenfilter vor dem Addieren.

Ich denke, so ein Test ist unabhängig davon, ob die Abhöranlage perfekt ist oder nicht. Einigt Euch auf ein kurzes Musikstück und ich mach dann mal ein paar Variationen davon. Klaus, wo gibt's denn Deine Musikstücke als Download? Hab davon mal gelesen, aber selbst nichts gehört.

Weitere Spielereien mit dem Thema Räumlichkeit oder auch Basisbreite (zum Teil auch bewusst mit Frequenzgangbeeinflussung) sind zum Beispiel Filter von Prof. Choueiri (Musikbeispiele zur crosstalk cancellation siehe http://www.ambiophonics.org/Ambiofiles.htm. Man setze sich z.B. in richtiger Position vor nen Laptop und lausche dann. Von QSound-Labs gibts ebenfalls nette Software zum Spielen mit den Phasen. Das funktioniert hervorragend.

Grüsse

Uli
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aktivposten
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Beitrag von aktivposten »

Hallo Uli,

auch an dieser Stelle noch mal vielen Dank für Deinen Besuch und die Interessanten Einblicke. Es freut mich natürlich, dass die O410 und mein Raum so gut abgeschnitten haben.
Der PC bootet übrigens schon. :mrgreen:

Gruß
Holger
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KSTR
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Beitrag von KSTR »

Hallo Uli,
uli.brueggemann hat geschrieben:Ok, nun zu den Gedanken von Klaus. Ja, so ein Test ist prinzipiell einfach zu machen. Wobei mir auffällt: wieso hat das noch keiner bekannterweise in der Literatur beschrieben?
Ja das frag ich mich dann auch. Unter den Tonleuten tobte (und tobt noch immer) die Diskussion, ob nun klassiche minmalphasige Trennungen bei den Kompressoren oder auch EQs besser oder schlechter klingen als neuere linearphasige, ohne klares Resultat. Evtl. auch wegen nicht durchoptimierter Abhörumgebungen konnte man dieses Detailproblem halt auch nocht nicht sauber untersuchen.... damit es für ein AES-Paper o.ä. reicht... oder vlt. fehlt gar das Interesse bzw der Horizont...
Ich denke so ein Test ist unabhängig davon ob die Abhöranlage perfekt ist oder nicht. Einigt Euch auf ein kurzes Musikstück und ich mach dann mal ein paar Variationen davon.
Naja, vlt. mißverstehe ich ich dich da, aber mE muss die Anlage eben ligamäßig Acourate-entzerrt sein, incl. des manuellen Matchings der IRs durch des Meister's eigene Hand, um andere, die räumliche Wiedergabe potentiell degenerierende Faktoren auszuschließen. Mit KH ginge das nur mit zur den eigenen HRTFs passenden Kunstkopfaufnahmen, würde ich sagen (bei mir funzt KH-Widergabe z.B. so gut wie garnicht, da ist nichts wie es soll. Es sei denn, ich simuliere LS-Wiedergabe per passenden Crossfeed. Aber z.B. die Tonhöhentrennung/erkennung ist immer noch lausig im Vgl. zu LS). Ich denke also genauso wie Gert, dass dieser Allpass-Über-Alles-Test erst dann aussagekräftig sein dürfte, wenn alles andere stimmt. Ham wir dann einen Positiv-Test, kann man immer noch schauen, welche Randbedingen nicht so wichtig sind.

Ich habe im OpenEnd schon mal ein Sample eingestellt (ab #1232), wo ich einen "typischen" Allpass auf eine potentiell saubere Aufnahme draufgelegt hatte (per Multiband-Compressor als reiner Bandsplitter), jedoch war eine unkontrollierte Variable die Qualität des Processings (nur 44.1kHz), die evtl. die Erkennung im A/B falsch getriggert hat: Man kam überein, dass die Allpass-Variante grisseliger in Höhen war und evtl. schon allein deshalb der Unterschied da war. Das Ohrenmerk lag auch eher auf der Transienten-Darstellung, selektiv nach anderer Räumlichkeit hat wohl niemand nachgehört bzw. war das Sample dafür nicht zwingend optimal.
Klaus, wo gibts denn Deine Musikstücke als Download? Hab davon mal gelesen aber selbst nichts gehört.
Der alte Stand liegt wohl noch auf einem anderen Forenserver, ist aber eben nicht aktuell. Da war mein Detailwissen in der Sache noch nicht soweit wie heute, für den wirklich entscheidenden Effekt kannte ich damals noch nicht die richtigen Parameter, weil mir nicht ganz genau klar war, warum und wie das ganze überhaupt funktionert. Ganz genau weiß ich es immer noch nicht, aber eben besser -- auch im Sinne der negativen Effekte. Also: spätestens dein Interesse zwingt mich jetzt, endlich mal Samples des aktuelles Standes bereitzustellen, incl der Originale. Vtl. schaffe ich ein, zwei Stücke heute noch fertigzumachen und per PN zu verteilen... das Orignal oder auch beide bieten sich dann auch gleich für den Allpasstest an...

Beste Grüße, Klaus

PS: Einer deiner Beiträge hier war übrigens die Initialzündung, Farina's Methode endlich in seiner vollen Mächtigkeit und Eleganz zu verstehen... und auch sonst, die Informationsdichte in deinen Posts ist manchmal schon ganz schön extrem, gilt für Holger und Gert und einige andere natürlich ebenso. Danke euch allen.
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uli.brueggemann
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Beitrag von uli.brueggemann »

KSTR hat geschrieben:Naja, vlt. mißverstehe ich ich dich da, aber mE muss die Anlage eben ligamäßig Acourate-entzerrt sein, incl. des manuellen Matchings der IRs durch des Meister's eigene Hand, um andere, die räumliche Wiedergabe potentiell degenerierende Faktoren auszuschließen.
Hi Klaus,

danke für all die Blumen.
Ok, genug geschwafelt. Zur Sache:

Ich denke, ich argumentiere mal so rum: da hatte ich einen Kunden (bisher der einzige übrigens), der mit Acourate nicht zufrieden war. Und das Nachdenken darüber hat mich fast irre gemacht. Bis ich denn kapiert habe, dass die Pulsantworten von seinem System zwar keinen idealen Frequenzgang haben, aber paarweise so prima gematcht waren, dass die Frequenzgangkorrektur zwar geklappt hat, aber die Filter wiederum das Matching sub-optimiert haben.

Und irgendwann ist mir das denn mal gelungen, auch hinsichtlich der paarweisen Abgleichs was zu tun. Was immer noch aufwendig und nicht robust (also anwendergerecht) läuft. Daher ist das keine Automatikfunktion.

Erkenntnis dabei ist jedoch, dass es nicht wichtig ist, dass die Sprungantwort perfekt ist (trotzdem immer noch ein hehres Ziel), sondern dass die Korrelation stimmt. Das ist auch so bei passiven Frequenzweichen. Dabei kann sogar der Frequenzgang abweichen (und das tut er in Realität denn dann auch).

Insofern treibt mich die Annahme, dass ein halbwegs ordentliches Wiedergabesystem auch zum Testen geeignet sein sollte. Denn mit einem Allpassfilter kann ja die Kanalgleichheit beliebigst bis hin zu grossem Unfug zerstört werden. So müsste denn z.B. das Falten eines Kanals mit einem Allpass gewonnen aus einer Crossover-Simulation sich deutlich anders anhören als das Falten mit eben dem revertierten Allpass. Mittlerweile hat sich rumgesprochen, dass das Nachhinken tiefer Frequenzen im Vergleich zu hohen Frequenzen natürlich ist. JEDES minimalphasige Filter tut dies. Das Filter umgedreht bewirkt das Gegenteil.

Analogie: Ein verzögerter Ton bei Bildwiedergabe ist normal und natürlich. Das Licht ist schneller als der Schall. Und wenn der Schall dem Bild vorauseilt ist jeder irritiert. So oder so ähnlich.

Fazit: Lasst uns mal auf ein räumliches Musiktstück einigen und dann können wir spielen.

Uli

PS: Das Nachbehandeln fertiger Stücke zur Erhöhung der Räumlichkeit erscheint mir tricky. Wie das Nachbehandeln einer Mischung von zwei aufgenommenen Stimmen, bei denen ein Mikro die Polarität vertauscht hat. Wenn jeder Kanal verfügbar ist, sollte das simpel sein.
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