Chopins Klaviermusik – meine Referenzen (Klassik)

Klangperlen und künstlerische Leckerbissen
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Dr. Holger Kaletha
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Chopins Klaviermusik – meine Referenzen (Klassik)

Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Chopins Klaviermusik – meine Referenzen

Mit Chopin ist es fast wie mit Mozart: Nahezu jeder Musikfreund und auch die meisten Pianisten lieben ihn. Das zu ergründen, wäre ein eigenes Thema!

Es gibt eine eigene Tradition des Chopin-Spiels. Berühmte Chopin-Interpreten der Geschichte waren u.a. Ignaz Jan Paderewsky (der Pianist und Diplomat war, sogar polnischer Außenminister!), dann der Klavierphilosoph Alfred Cortot (Cortot-Aufnahmen zu erwerben, ist immer ein Gewinn, das ist reine Poesie auf dem Klavier), der übrigens Etüden für das Üben von Chopin-Etüden komponiert hat, dann natürlich der große Artur Rubinstein.

Aus der polnischen Schule stammen Stefan Askenase und Adam Harasiewicz. Zu den Gewinnern des Warschauer Chopin-Preises, die mehr geworden sind, als nur sehr gute Chopin-Interpreten gehören Maurizio Pollini, Martha Argerich, Vladimir Ashkenazy (2. Preis hinter dem 1. Harasiewicz) und Krystian Zimerman. Viele andere große Pianisten des 20. Jahrhunderts haben unvergleichliche Chopin-Aufnahmen hinterlassen: Der früh verstorbene Dinu Lipatti, Arturo Benedetti Michelangeli, Claudio Arrau, Vladimir Horowitz, Emil Gilels, Svjatoslav Richter.

Meine erste Empfehlung ist eine Box (Decca-Eloquence) mit sämtlichen Chopin-Einspielungen von Adam Harasiewicz, zu haben für nur 20 Euro! Durchweg großes Chopin-Spiel, ungeheuer präziös und einfühlsam, was die Idiomatik angeht. Überragende Preludes, Etüden und Polonaisen. Große Sonatenarchitekturen sind seine Sache freilich nicht! Ebenso empfehlenswert die Chopin-Box mit Artur Rubinstein (RCA) mit den wichtigsten Werken, die es (jpc) immer noch zum Dumpingpreis für 25 Euro zu haben gibt. Zugreifen, solange es sie noch gibt! Rubinstein hat die meisten Chopin-Werke im Studio übrignes mehrfach aufgenommen, in der Mono- und Stereo-Ära. Gerade neu erschienen: Eine frühe Aufnahme der Nocturnes bei EMI. Vladimir Ashkenazy hat das gesamte Klavierwerk chronologisch eingespielt (bis auf die komplett und nicht chronologisch einzeln aufgenommenen Zyklen der Etüden und Preludes). Dieses chronologische Einspielung gab es auf LP – leider haben sie das Konzept aus wohl kommerziellen Gründen nicht in der CD-Box übernommen! Schade!

Nun zu den einzelnen Werken:

I. Die Sonaten

Die 1. Sonate ist eine noch etwas unbeholfene Schülerarbeit, die 2. und 3. Sonate dagegen sind musikalische Monumente – die erste Sonate befindet sich in der Harasiewicz-Box. Auch Ashkenazy hat sie eingespielt (Doppel-CD: 3 Sonaten plus die Etüden: Sehr empfehelnswert!). Meine Referenzen:

2. Sonate (b-moll mit dem Trauermarsch)
  • Arturo Benedetti Michelangeli (Arezzo 1952 und London 1957) Die Londoner-Aufnahme ist enthalten in der kürzlich erschienenen Box mit BBC-Mitschnitten (3 CDs für 30 Euro). Schlichtweg magisches, Staunen erweckendes Klavierspiel, das sich einem ins Gedächtnis als unvergeßliches Ereignis einbrennt!
  • Artur-Rubinstein: Die Studio-Aufnahme der 2. und 3. Sonate (RCA), dazu die Konzertmitschnitte Rubinstein in Moskau und ein Mitschnitt aus Lugano (Label Aura). Eine ungemein intelligente Dramaturgie des Trauermarsches (was freilich so nicht im Notentext steht!), die bei vielen Pianisten Schule gemacht hat. Das Moskauer-Konzert von 1960 kursierte in Rußland als LP.
3. Sonate (h-moll)
  • Emil Gilels auf einem Bechstein-Flügel (DGG Studioaufnahme, wieder veröffentlicht in der Serie Steinway-Legends, Emil Gilels). Eine schlicht ideale Aufnahme!
  • Claudio Arrau (EMI). Ebenfalls betörend, Chopin im Arrau-typischen Stil! Emotional vielschichtig und textgenau. Beeindruckend, wie er mit seinen Riesenhänden die von Chopin notierten großen Bögen im Scherzo herausarbeitet, was sonst niemandem so gelingt!
  • Maurizio Pollini (DGG, 2. und 3. Sonate): Eine Mischung aus italienischer, Bellinischer Kantabilität und Klassizität, überragend!
II. Polonaises

Eindeutig Artur Rubinstein (RCA). Vollendetes, kraftvolles und zugleich wunderbar klangschönes Klavierspiel, das den polnischen Ton ideal trifft.

III. Walzer (komplett)
  • Die berühmte Aufnahme von Dinu Lipatti
  • Artur Rubinstein, der jede Salonattitüde vermeidet.
IV. Mazurken

Rubinsteins Gesamtaufnahme, Horowitz (Auswahl) und Benedetti Michelangeli (Auswahl) als drei grundverschiedene Ansätze: Rubinsteins überlegene charakterisierende Gestaltung, Chopins Mazurkenwelt polnisch-idiomatisch, dabei völlig unexzentrisch und irdisch-gesund, Michelangelis metaphysischer Tiefsinn und lyrische Intimität mit ihrer berückenden Schönheit aber auch sich öffnenden Abgründen, Horowitz im besten Sinne exzentrische (außer-mittige), dämonisch-tänzerische Gestaltung.

V. Nocturnes
  • Artur Rubinstein (RCA): Die Kunst, die ideale Linie zu treffen (hörbar in Nr. 1). Einfach beglückend in jeder Hinsicht!
  • Claudio Arrau: Antipode zu Rubinstein, er spielt nicht die Kantilenen entlang, sondern offenbart die Widerhaken der Musik.
  • Maurizio Pollini: Die Nocturnes nicht als biedermeierliche Idylle, sondern mit dramatischem Puls! Für mich ein interpretationsgeschichtlicher Meilenstein!
VI. Preludes
  • Alfred Cortot: Die Aufnahme aus den 30igern (EMI) wird zu recht noch heute von vielen Pianisten verehrt wie etwa Alfred Brendel.
  • Maurizio Pollini (DGG) – z.Zt. für 10 Euro zu haben! Pollini at his best – ungemein formsinnig, organisch, klangschön und aufregend feinsinnig (z.B. Nr. 2 – beeindruckend, wie er die Melancholie und Trauer nicht vordergründig larmoyant, sondern hintersinnig durch eine ungemein subtile Farbschattierung hörbar macht!).
  • Grigory Sokolov: Sokolov zerlegt die Preludes in lauter hochexpressive Phrasen. Eine wirklich denkwürdige, wirklich aufrüttelnde Aufnahme – reiner Expressionismus als Kontrast zu Pollinis Klassizität. (Gerade neu erschienen in einer 2 CD-Box zusammen mit den Etüden op. 25 und der Sonate Nr. 2.)
  • Vladimir Sofronitzky : In der Brilliant-CLassik-Box gibt es einen Mitschnitt der Preludes, der wahrlich genialisch ist. Er verbindet die Expressivität von Sokolov mit Sinn für die organische Linie – einfach einzigartig, man kommt da aus dem Staunen nicht mehr heraus! Sofronitky war wirklich einer der großen Pianisten des 20. Jahrhunderts, nicht nur seines Scriabin wegen!
VII. Etüden
  • Maurizio Pollini (DGG): Die klassische Einspielung. Mit unglaublichem Zug und wie aus einem Guß. Maßstabsetzend!
  • Vladimir Ashkenazy (Decca): Die Etüden gehören zu seinen besten Chopin-Aufnahmen. Sehr ausgefeilt, zurückhaltender aber auch wärmer als Pollinis Aufnahme! Eine wirklich hörenswerte Alternative. Gibt es zusammen mit den Sonaten (2 CDs).
  • Claudio Arrau (EMI): Eine Lehrstunde großen Klavierspiels: Technisch absolut überlegen, völlig unsentimental und doch hochpoetisch, dazu sogar noch analytischer als Pollini! Unverzichtbar!
  • George (György) Cziffra: Geliszteter Chopin, die klaviertechnisch spektakulärste Aufnahme an den Grenzen des Machbaren und zugleich höchst musikalisch! Ein Cziffra-Monument! (Nr. 23 aus der Serie Great Pianists, 2 CDs mit Werken von Chopin, Liszt)
  • Murray Perahia: Die überzeugenste der neueren Einspielungen – großartig gestaltet!
VIII. Scherzi und Balladen

Artur Rubinstein (RCA)

1. Scherzi

(Nr. 1 h-moll)
  • Benedetti Michelangeli (Mitschnitte aus Bregenz und London, Label Aura). Komposition aus einer depressiven Phase Chopins in Wien – Krieg mit Polen. ABM fördert wie kein anderer die traumatische Expressivität zutage – Schmerzausbrüche aus der Tiefe des Unbewußten. Zudem unglaublich textgenau! Die eineinhalb Minuten langsamere Fassung aus London 1990 ist fast noch eindringlicher als die virtuose aus Bregenz. Unvergleichlich!
  • Vladimir Horowitz (Mitschnitt in: Horowitz rediscovered) – deutlich besser als die DGG-Aufnahme. (Horowitz im Film der DGG: "Für einen alten Mann doch nicht schlecht!" Refrain von Svjatoslav Richter – "... sagte er zu einer schlechten Einspielung des h-moll Scherzo!")
  • Maurizio Pollini: Nicht so existentialistisch wie ABM und exzentrisch wie Horowitz, aber mit einem wahrlich ausgesungenen Trio: Chopin mit dem Gesicht Schuberts: wunderschöne Tropfenmotive!
(Nr. 2 b-moll)

Benedetti Michelangeli (DGG). Dazu Joachim Kaiser: Jahrhundertaufnahme des b-moll-Scherzo! Dem ist nichts hinzuzufügen!

(Nr. 3 cis-moll)

Adam Harasiewicz: Nur er vermag es, durch das Trio mit seinem Choralidiom hindurch die dramatische Spannung aufrecht zu erhalten! Habe ihn mit dem 3. Scherzo in den 70igern im Düsseldorfer Schumann-Saal gehört und schon damals hat mich seine Interpretation sehr beeindruckt!

(Nr. 4)

Vladimir Ashkenazy (Decca, die alte Aufnahme (CD Decca Legends)): Mit virtuosem Eros und Brillanz gespielt! Umwerfend! Nicht minder eindrucksvoll Richters Mitschnitt seines Carnegie-Hall-Konzertes von 1960 (CD Richter rediscovered).

2. Balladen

Krystian Zimermans Aufmahme besticht durch ihre Durchdachtheit und präziose Pianistik. Maßstabsetzend - bis auf die 4. Ballade, die leider in Episoden zerfällt. Ihm fehlt der Sinn für den großbogigen dynamischen Spannungsaufbau – der h-moll-Sonate von Liszt beobachten kann!

(Nr. 1 g-moll)

Benedetti Michelangeli: Die Coda ist gefürchtet. Niemand bewältigt sie technisch so souverän wie ABM – selbst Horowitz pfuscht da! Die DGG-Studioaufnahme ist maßstabsetzend, unglaublich ausgefeilt. Den lyrischen Mittelteil spielt kein anderer so betörend. Gegen die dämonische Virtuosität des wahrlich märchenhaften Mitschnitts aus London 1957 (das Konzert (BBC) einen Tag bevor er seine legendäre Aufnahme mit dem Ravel-G-Dur-Konzert und Rachmaninow-Konzert Nr. 4 machte, 2 CD SBT 2088) wirkt diese Studioaufnahme allerdings fast schon asketisch. Sehr spannend auch der Mitschnitt aus Bregenz 1985 (Label Aura). ABMs Spätstil: Emotional ungeheuer vielschichtig mit einem wahren Überschwang an Farbtönungen gespielt, dazu eine ungemein beredte Phrasierung ! Der große Meister kann hier nur sich selber ernsthaft Konkurrenz machen!

(Nr. 4)
  • Svjatoslav Richter: Die 4. Ballade hat Richter sein Leben hindurch begleitet und er liebte sie besonders – er spielte sie in seinem ersten privaten und später öffentlichen Konzert sowie beim Vorspiel im Moskauer Konservatorium in Anwesenheit von Heinrich Neuhaus, der anschließend sein Lehrer und Mentor wurde. Es gibt verschiedene Mitschnitte, z.B. aus Italien in den 60igern (DGG). Einfach ideal gespielt – das Maß aller Dinge!
  • Vladimir Ashkenazy: ähnlich überzeugend wie Richter, sowohl die alte Aufnahme (Decca Legends) als auch die neue Digitalaufnahme mit ausgewählten Chopin-Stücken. Die dynamische, fast schon symphonische Dramaturgie stimmt, dazu eine sehr intelligent gestaltete Coda!
IX. Fantasie op. 49

Benedetti Michelangeli (Fonitcetra, auch als DVD zu haben bzw. Bregens 1985 (Aura)) oder Claudio Arrau (EMI).

X. Berceuse

Benedetti Michelangeli (Fonitcetra, CD oder DVD) oder Pollini (DGG)

XI. Andante Spianato et Grande Pollaca Brillante

Rubinstein, Benedetti Michelangeli. Beide haben dieses Virtuosenstück geadelt zu einem klassischen Werk. Rubinstein durch die Zurücknahme jeglicher Virtuosität, die Reduktion auf charakterisierende Gestaltung. ABM durch die Vergeistigung des Virtuosen, eine rückhaltlose Ästhetisierung. ABM feuert wahre Leuchtraketen auf dem Flügel ab! Überirdisches, entmaterialisiertes Klavierspiel!

XIII. Die Klavierkonzerte Nr. 1 und 2

Artur Rubinstein (RCA), Claudio Arrau (Philips), Marta Argerich (DGG), Maurizio Pollini (EMI Nr. 1), Emil Gilels (Nr. 1), Vladimir Ashkenazy (frühe Decca-Aufnahme mit David Zinman: Nr. 2).

Vom 90-jährigen(!) Rubinstein gibt es einen Filmmitschnitt des 2. Klavierkonzertes (Dirigent: Andre Previn) auf DVD (DGG), zusammen mit dem Griegkonzert und Nr. 2 von Saint-Saens! Da sieht man, was überragende Technik ist (die Ergonomie, die ihm auch im hohen Alter einen solchen virtuosen Zugriff erlaubt) und vor allem, woher diese Klangfülle kommt! Sehr sehenswert und lehrreich für Pianisten!

XII. Herausragende Einzelplatten
  • Bendetti Michelangeli: Chopin (DGG): Mazurken (Ausw.), Ballade g-moll, Scherzo b-moll, Prelude cis-moll. Mazurken ohne jeden Zirkus, ungemein plastisch aber lyrisch-verinnerlicht und wahrlich tiefsinnig, sehr authentisch: Selbst-Bekenntnisse einer vereinsamten Seele. Die letzte Komposition Chopins war bezeichnend eine Mazurka. Die Mazurken sind ja keine Tanzmusiken! Chopin selbst nannte sie immer wieder meine Atelierbilder! Jahrhundertaufnahmen der Ballade und des Scherzo, ebenso das unvergleichlich hintergründig melancholisch und zugleich klassisch-schlicht wie hyperfeinsinnig gespielte cis-moll-Prelude!
  • Horowitz: Horowitz hat immer wieder genialische Chopin-Aufnahmen gemacht, so etwa dämonisch-tänzerische Mazurken. Dokumentiert ist das in den Studioaufnahmen bei CBS/Sony sowie wahrlich berührend in Horowitz in Moskau.
XIII. Günstige Chopin-Boxen
  • Artur Rubinstein: Chopin (11 CDs, RCA), z. Zt. zu haben für nur 25 Euro (Quelle jpc)
    Es gibt Pianisten, die schätzt man, und solche die liebt man: Zur letzteren Kategorie zählt für mich Artur Rubinstein. Sein Chopin ist ein Klassiker: mit der Rubinstein eigenen Natürlichkeit, ein eher männlicher als weiblicher Chopin, mit dem für ihn charakteristischen großen, runden und warmen Ton. Immer wieder erhebend: Wie er im 1. der Nocturnes die ideale Linie trifft zusammen mit einer pianistisch traumwandlerischen Klangregie: volltönend und zugleich ein absolut sauberes und durchsichtiges Spiel! Wer Rubinstein noch nicht in seiner Sammlung hat, sollte zugreifen! Auch klangtechnisch sind diese RCA-Studioaufnahmen hervorragend! Man bekommt den (fast) kompletten Chopin-Kosmos, leider ohne die Etüden! Rubinstein hat sie nie komplett aufgenommen! Er liebte das Leben zu genießen und war zum Üben einfach zu faul (was er mit viel Humor selbst zugibt!).
  • Adam Harasiewicz: Chopin (10 CDs, Decca Eloquence) für 20 Euro
    1962 gewann Adam Harasiewicz den Chopin-Wettbewerb in Warschau und verwies niemand anderen als Vladimir Ashkenazy auf den 2. Platz (der hatte vorher bereits den Tschaikowsky-Preis in Moskau gewonnen!). In der Jury saß damals kein geringerer als Arturo Benedetti Michelangeli (ABM). ABM weigerte sich dann, das Schlußdokument zu unterschreiben. Er wollte Ashkenazy vor Harasiewicz plazieren! Harasiewicz kam trotzalledem nachher zu ihm in seine Pianistenschule in Arezzo um zu lernen (dokumentiert im Film!). Harasiewicz Aufnahmen sind zum allergrößten Teil auf höchstem Niveau und von zeitloser Gültigkeit. Ich habe ihn in den 70igern einmal im Düsseldofer Schumann-Saal erlebt (der inzwischen abgerissen ist!), wo er u.a. das 3. Scherzo spielte. Meine persönliche Referenz auch heute noch: Niemand anderem gelingt es, auch im Trio (der Choral mit den Harfenklängen in der rechten Hand) die dramatische Spannung zu halten, so daß sich dieser Teil nicht zur Idylle verselbständigt. Überragende Balladen, Etüden und Preludes, große Sonatenarchitekturen sind seine Sache freilich nicht! Das kann man aber verschmerzen mit Blick auf all die anderen pianistischen Höhenflüge!
Gruß Holger
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Zeno Cosini
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Beitrag von Zeno Cosini »

Hallo Holger,

die BBC-Mitschnitte (3 CDs) von ABM sind bitte wo erschienen?

- fragt ein neugieriger

Axel
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Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Hallo Axel,

die BBC hat selbst eine Serie mit ihren Aufnahmen herausgebracht (BBC Music). Die 3 von ABM erschienenen Aufnahmen gibt es derzeit günstig in einer Box für 25 oder 30 Euro!

Beste Grüße
Holger
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Zeno Cosini
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Beitrag von Zeno Cosini »

Danke Holger

für den Hinweis. Dann werde ich mich mal wieder zu Saturn auf den Weg machen.

So long

Axel
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Rudolf
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Beitrag von Rudolf »

Hallo Holger,

nachdem ich heute auf WDR 3 die Polonaise fis-moll, op. 44 (Interpret: Artur Rubinstein) gehört habe, ist es um mich geschehen: Ich werde mir die von dir empfohlene Chopin-Collection (RCA) zulegen!

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Danke nochmals für deine tollen Tipps!

Viele Grüße
Rudolf
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hubertus
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Beitrag von hubertus »

DINU LIPATTI!!! Der größte Chopin Interpret aller Zeiten und natürlich Arturo Benedetti Michelangeli, empfehlenswert die DG "The Originals" Serie, witzigerwesie in besserem Klang als die Originale....
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Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Marc Andre Hamelins Einspielung der Sonaten Nr. 2 und 3

Hamelin ist inzwischen zur Berühmtheit geworden, obwohl er sich in seinen CD-Aufnahmen beim Label Hyperion eher auf ein zwar originelles, aber zum großen Teil auch abseitiges Repertoire konzentriert hat. Nun also kommen die Einspielungen klassischer Werke – hier mit den Sonaten von Chopin.

Die Erwartungshaltung – auch bei mir – ist hoch, und sie bekommt gleich zu Beginn mit der Berceuse einen kräftigen Dämpfer. Die Schwierigkeit der Interpretation besteht darin, dass die Melodiestimme den Berceuse-Rhythmus nicht auflösen, aber sich ihm auch nicht einfach unterordnen darf. So spielt etwa Vladimir Ashkenazy den Rhythmus mit sturer Gleichmäßigkeit und dieses Gleichmaß bewirkt dann auch nichts als Langeweile. In dieselbe Richtung geht auch Hamelin, freilich ist sein Vortrag facettenreicher, was aber leider nichts an dem Gesamteindruck der Leblosigkeit ändern kann. Maurizio Pollini hat hier durch ein gekonntes Rubato-Spiel der Melodiestimme und ihren glitzernden Läufen eine dramatische Bewegtheit verleihen können. Bei Benedetti Michelangeli gewinnt dieses Stück eine wahrlich genialische, dämonische Magie der Klänge. Auch hier befreit sich die tragende Melodiestimme von der Pendelbewegung in der linken Hand. Rubinsteins Aufnahme von 1949 nimmt gefangen durch eine tänzerische Beschwingtheit und Freizügigkeit. Die spätere Aufnahme ist da zurückhaltender, bewahrt aber diese Leichtigkeit. Auch Stefan Askenase vermag diesem Stück Lebensglut einzuhauchen – von all dem ist Hamelin doch weit entfernt!

Und die b-moll-Sonate (Nr. 2) – die mit dem Trauermarsch? Schon der erste Akkord ruft ein doch verwundertes Kopfschütteln hervor. Da wird einfach unsensibel-brutal in den Flügel gelangt. Chopin notiert zwar Forte, darüber aber auch die Ausdrucksbezeichnung Grave. Von gravitätischem Gewicht, von einer bedeutungsschweren Verweisung auf den Trauermarsch keine Spur! Auch die Exposition ist eine einzige Enttäuschung. Hamelin gelingt es wie vielen anderen nicht, Chopins dynamische Dramaturgie, die im Notentext präzise notiert ist umzusetzen: Takt 5 Piano und Takt 25 Forte. Das wird bei Hamelin nivelliert zu einem unbestimmten Mezzoforte. Das ist alles kraftvoll gespielt, aber eher indifferent-burschikos als wirklich dramatisch. Das Seitenthema ist alles andere als verführerisch und dahinschmelzend im Melos, eher unspezifisch. Die Durchführung, wo die brutalen Naturgewalten entfesselt werden, wird bei Hamelin einfach nur laut – pianistischer Rummel ohne Dramatik. Wenn man den gealterten Maurizio Pollini kritisiert seiner zunehmend unscharfen Phrasierungen wegen, dann muß man diese Kritik beim deutlich jüngeren Hamelin wiederholen: Das ist alles reichlich pauschal, den verwaschen vorgetragenen Motiven fehlt die Prägnanz und auch emotionale Sprengkraft. Ein Stefan Askenase hat zwar von der Natur nicht diese pianistischen Fähigkeiten in die Wiege gelegt bekommen, aber seine messerscharfe Phrasierung und tiefe Auslotung der dramatischen Gegensätze macht diesen vermeintlichen Mangel mehr als wett. Von einem Chopin-Spieler erwartet man ein individuelles Rubato – das braucht man z.B. im Trio des Scherzo. Das ist bei Hamelin einfach nur blaß und ausdruckslos.

Und der Trauermarsch? Eigentlich noch nie habe ich ihn so langweilig gehört. Er nimmt ihn sehr langsam – ähnlich Maurizio Pollini in seiner Aufnahme aus den 80igern. Doch was Pollini gelingt, eine organische Steigerung zu entwickeln, die auf einen dramatischen Höhepunkt zusteuert, dazu ist Hamelin nicht in der Lage. Es wird wieder einmal nur laut – und mehr nicht! Das Intermezzo ist eine Fata Morgana unmöglichen Glücks. Bei Hamelin – trotz pianistischer Kultur – eine musikalische Belanglosigkeit.

Das irrlichtende Presto-Finale, das selbst Robert Schumann so irritierte, ist wahrlich eine klaviertechnische Herausforderung. Auch hier ist die Erwartung an Hamelin hoch und wird gründlich enttäuscht! Die Godowski-Paraphrasen von Chopin-Etüden mag er souverän meistern, hier liefert er – in gemächlichem Tempo – pianistisch nicht mehr ab als biederstes Mittelmaß! Der Abstand zu Benedetti Michelangeli ist da eklatant. Man muß es mit aller Deutlichkeit sagen: Der italienische Klaviergott spielt ihn da technisch schlicht und einfach an die Wand! Und musikalisch gibt es bei Hamelin auch nicht den geringsten Anflug von Dämonie oder gar schwarzer Magie!

Die beiden Nocturnes und die Barcarolle bilden das Intermezzo zwischen den beiden gewichtigen Sonaten. Hamelins Nocturnes jedenfalls sind am ehesten Anlaß für eine Siesta – schlicht und einfach einschläfernd! Keine Linie, keine zupackende Phrasierung, ein Klangbrei, der dann wieder von einem kräftigen Forteeinsatz unterbrochen wird. Hier – wie auch in der noch am ehesten gelungenen Barcarolle – zeigt sich eine grundlegende Schwäche von Hamelin: Er hat keinen Sinn für organische Entwicklungen. Dynamische Höhepunkte platzen einfach herein, ohne dass sie dramatisch vorbereitet werden.

Die h-moll-Sonate (Nr. 3) kontrastiert mit der b-moll-Sonate durch ihre Bellini verpflichtete Kantabilität. Was Hamelin hier fabriziert, kann man nur als unreif bezeichnen. Auf einem Klavierwettbewerb würde man sagen: ein vielversprechendes Talent, dass sich seine Sporen noch abwetzen muß. Aber so jung ist auch Hamelin nicht mehr! Der 1. Satz ist überschrieben mit Allegro maestoso – von maestoso bei Hamelin keine Spur. Emil Gilels wählte extra einen Bechstein-Flügel bei seiner Aufnahme, um die polnische Dramaturgie herauszuarbeiten. Bei Hamelin ist das nicht mehr als ein virtuoses Spielstück, wieder gelingt ihm keine organische Entwicklung. Beim Seitenthema bemüht er sich sichtlich, aber wirkliches Belcanto kommt da nicht heraus! Das Scherzo ist technisch stupend gespielt, aber völlig seelenlos, eine reine Fingergeläufigkeitsetüde. Im wunderschönen langsamen Satz wiederholt sich das, was schon bei den Nocturnes zu bemerken war: Kein musikalischer Fluß, die Musik steht auf der Stelle, so dass die an sich schöne Weile unendlich lang wird. Das Finale ist ein Virtuosenstück, aber auch ein Kehrausfinale, dem eine gewisse Leichtigkeit innewohnen muß. Von der einnehmenden Brillianz eines Vladimir Ashkenazy ist Hamelin mit seinem virtuosen Theaterdonner doch weit entfernt – es fehlt bei allem virtuosen Eifer die Selbstverständlichkeit – so etwas wie musikalische Gelassenheit.

Fazit: Es dürfte Hamelin mit dieser Aufnahme aus dem konventionellen Repertoire schwer fallen, dieselben Lorbeeren zu ernten wie bei seinen Ausflügen ins Erlesene und Abseitige! Er muß sehr aufpassen, dass es nicht in naher Zukunft heißt, man habe ihn überschätzt!

Beste Grüße
Holger
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Fortepianus
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Beitrag von Fortepianus »

Hallo Holger,

man merkt richtig, wie Du Dich über die Einspielung geärgert hast. Solche CD-Kritiken wie diese hier von Dir sind einfach erfrischend - für einen Moment habe ich Lust verspürt, mir die Aufnahme nur deshalb zu kaufen, um Deine Kritikpunkte nachzuvollziehen. Aber vielleicht sollte ich meine Zeit doch lieber damit verbringen, Chopin von Pollini, Michelangeli oder Rubinstein aufzulegen.

Zu Deiner Anmerkung "Phrasierungsverlust bei Pollini": Ich habe Pollini schon oft im Konzert erleben dürfen - es war jedesmal ein Erlebnis. Nebenbei bemerkt bin ich ihm ehrlich gesagt aber sehr dankbar dafür, dass er inzwischen bei Klavierabenden wieder klassisch-romantisches wie Beethoven oder Chopin zu Gehör bringt, in den 90ern hat er sein Publikum mit Nischen des 20ten Jahrhunderts strapaziert (ja, ich oute mich hier als diesbezüglicher Banause :roll: ). Zugegeben, es ist nicht mehr wie damals, als ich ihn in den 80ern gehört habe, dass Dich sein Chopin mit eisigem Griff in den Sitz zwingt. Da ist vielleicht nicht mehr der ganz zwingende Bogen vom ersten bis zum letzten Ton. Aber dafür ein bisschen mehr Wärme, Gelassenheit und Altersweisheit, die sich gerade im bewussten Verlassen der letzten Perfektion und Präzision manifestiert. Pollini, jung oder alt - ich liebe die Musik, die er macht.

Auch Michelangeli, auf den Du anspielst und der leider nicht mehr lebt, bescherte mir unvergessliche Konzerterlebnisse - und seine Einspielungen sind eine Säule meiner Klavier-CD-Sammlung. Auch wenn die CDs im Schrank liegen bleiben und die Musik von der Festplatte kommt 8).

Danke für die Mühe, die Du Dir mit Deinen CD-Kritiken machst. Sie tragen ganz erheblich zum Niveau der Rubrik "Musikempfehlungen" bei.

Viele Grüße
Gert
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Franz
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Beitrag von Franz »

Ja, Holgers Klassik-Rezensionen sind eine Klasse für sich. Da merkt man, daß da jemand schreibt, der tief mit dieser Musik verwurzelt ist. Seine Tipps waren und sind für mich stets eine Hilfe beim Aufbau einer Klassik-Sammlung. Sie enthalten jede Menge Hintergrundinformationen, die mir sehr helfen. Auch Sigis Empfehlungen und Anmerkungen zu Klassikaufnahmen schätze ich sehr. Bitte weiter so! :cheers:

Gruß
Franz
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Dr. Holger Kaletha
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Beitrag von Dr. Holger Kaletha »

Fortepianus hat geschrieben:Nebenbei bemerkt bin ich ihm ehrlich gesagt aber sehr dankbar dafür, dass er inzwischen bei Klavierabenden wieder klassisch-romantisches wie Beethoven oder Chopin zu Gehör bringt, in den 90ern hat er sein Publikum mit Nischen des 20ten Jahrhunderts strapaziert (ja, ich oute mich hier als diesbezüglicher Banause :roll: ).
Hallo Gert,

es leider viel zu lange her, daß ich Pollini im Konzert gehört habe. Mal sehen, ob ich es schaffe, am 11.3. nach Köln zu kommen! Was spielt er: Im ersten Teil Stockhausen >Kreuzspiel< und Klavierstücke 6-9, nach der Pause einige Klavierstücke von Schönberg und dann von Schumann die Fantasie op. 17. :D

Das Problem, was ich mit der Hamelin-Aufnahme hatte, war meine sehr hohe Erwartungshaltung. Es gibt natürlich, das muß ich sagen, eine ganze Reihe Einspielungen anderer bekannter Namen, die deutlich schwächer sind. Ich trage mich, einen großen historischen Vergleich von Aufnahmen der b-moll-Sonate zu machen!

Beste Grüße
Holger
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